Romantische Kindheitserinnerungen an Tante-Emma-Läden. Gut, dass es sie hier und da immer noch gibt
Nein, früher war ganz gewiss nicht alles besser. Und dennoch muss man in Zeiten wie diesen, in denen Paketzusteller bis abends um 22 Uhr online bestellte Waren ausliefern, für die man sich früher noch selbst in die Fußgängerzone bequemt hatte, manchmal an alte Zeiten denken. Als man, damals mit einer D-Mark Taschengeld in der Hosentasche, mittags nach den Hausaufgaben in den Tante-Emma-Laden ging. Die riesige Haus-Eingangstür stand offen, es ging drei ausgelatschte Steinstufen hoch und rein ins Altbau-Ladenlokal. Eine laute Schelle kündigte die Kundschaft an, was gut war, da die Verkäuferin hinter der Theke vor lauter riesigen Einmachgläsern, Kartons, Blech- und Holzkisten ihren kleinen Laden ohnehin nicht überblicken konnte.
„Was kann ich für dich tun?“ Die Verkäuferin, die wir immer Oma Emma genannt haben, schaute einen mit treuen Augen durch ihre grobkastige Brille an, die Hände meist in den Seitentaschen ihres weißen Kittels, den sie immer über ziemlich wild gemusterten Blümchenkleidern trug. Natürlich wusste Oma Emma, was sie tun konnte. Wir Jungs kamen regelmäßig zu ihr spaziert, um das Taschengeld in Süßes umzuwandeln. WeingummiTeufel, weiße Mäuse, Lakritz, Salmiak und eine fantastische Schokolade mit Kokossplittern – jeder konnte sich seine bunte Tüte zusammenstellen, wie er wollte.
Und Oma Emma hatte Zeit. Ihren Laden musste es seit Jahrzehnten gegeben haben, und in den Achtzigerjahren kamen noch immer ältere Menschen aus der Nachbarschaft, um sich ein wenig Waschpulver zu holen, Gewürze oder Kosmetik, Fliegenfänger oder Dosenwurst. Im Tante-Emma-Laden gab es ganz sicher nicht die Auswahl, die die großen Discounter liefern. Es gab alles und nichts, von allem ein bisschen – und es wurde improvisiert. Dass Pfeffer und Salz eigentlich alle Gewürze ersetzen können, haben wir erfahren, und wie man die Flecken wirklich aus dem Lieblingsshirt bekommt.
Wahrscheinlich, und das begriffen selbst wir Jungs, ging es hier aber nicht nur um die Waren, die hier in kleinen Gebinden zu erschwinglichen Preisen verkauft wurden, sondern vor allem um Gemeinschaft. Oma Emma hat jedem zugehört, und so dauerte es manchmal seine Zeit, bis man dran war, wenn nach dem Einkauf von Pflastern, vier Batterien und einem Stück Seife der neueste Dorftratsch inklusive Krankengeschichte ausgetauscht wurde.
„Vier Gummibärchen, nein fünf. Zwei Salinos und vier Brause-Ufos.“ Für eine D-Mark bekam man eine volle Tüte Süßes, konnte erste Erfahrungen als ‚Geschäftsmann‘ machen und bekam darüber hinaus eine Lektion in Sachen Benimm – denn Oma Emma legte großen Wert auf ‚Danke‘ und ‚Bitte‘.
Mein letzter Besuch bei Oma Emma ist rund 35 Jahre her. Dass es heute nach wie vor Tante-Emma-Läden gibt, auch im UrbanoGebiet, ist wunderschön und sollte durch einen Besuch gewertschätzt und unterstützt werden. Früher war nicht alles besser. Oma Emma aber fehlt.
Sven Platen
Dorv-Laden Viersen-Boisheim
‚Dorv‘ steht für Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung und ist eine Idee, die ländlichen Dorfgemeinschaften Leben einhauchen will und die auch das gute, alte Tante-Emma-Flair aufleben lassen will.
Niederrheinisches Freilichtmuseum Dorenburg in Grefrath
Waren aus der Region spielen hier eine große Rolle. Brot aus dem eigenen Backofen, Honig, Apfelchips oder Rübenkraut gibt es genauso wie allerhand Leckereien. Für Kaffee und Kuchen stehen ein paar Tische und Stühle parat.