Wenn man dem Fernsehen Glauben schenkt, ist das Leben in vielen Bereichen derart einfach, dass man kaum verstehen kann, warum so viele Menschen in verschiedenen Lebenslagen über Probleme klagen oder gar fremder Hilfe bedürfen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: das Kochen – die tägliche Zubereitung einer warmen Mahlzeit für die Familie. Schaltet man den Fernseher ein, wird garantiert auf irgendeinem Kanal gekocht. Sei es der Henssler, der Mälzer, der dicke Björn oder Meister Lafer. Es wird rund um die Uhr geschnippelt, gebrutzelt, gedämpft, gepökelt und angerichtet. Alles liegt ‚mise en place‘ aufs Delikateste vorbereitet in schön portionierten Schüsseln, Schälchen und Karaffen. Die notwendigen Gewürze stehen bereit und alles wandert minutenschnell in die schon erhitzten Pfannen, Töpfe oder Bräter. Nur hier und da wird mit äußerster Fingerfertigkeit in Nahaufnahme noch rasch eine Zwiebel gewürfelt, eine Karotte gestiftelt und eine Forelle tranchiert. Ich habe in solchen Kochsendungen noch niemals jemanden gesehen, der spült, den Biomüll rausbringt oder nach dem Anbraten des Fleisches den Herd wieder auf Glanz bringt. Wer hat eigentlich mit einem quengelnden Kleinkind auf dem Arm und einem Sack festkochender Sieglinde im Buggy den ganzen Kram eingekauft? Wer hat sich zwischen Kita, der Grundschule, dem Termin zwischen 10 und 12 Uhr mit dem Handwerker und dem einstündigen Kochen abgehetzt zwischen zwei Biobauern, dem Wochenmarkt und dem Metzger seines Vertrauens? Es sieht immer alles so harmlos aus…Aber das Einräumen der Spülmaschine, das Schälen der Kartoffeln und das Dekantieren des passenden Rotweins für die Gäste am Abend erweckt nun mal nicht das medienwirksame Interesse, obwohl es doch auch dazu gehört. Man wird halt geblendet und bekommt eine entstellte Darstellung der Wirklichkeit präsentiert.
Genauso schlimm verhält es sich mit den zahlreichen Renovierungs und Umbau-Dokus. Als ambitionierter Hobbygärtner und Heimwerker weiß ich, wovon ich spreche. Aber wenn die Truppe der überambitionierten Kleingärtner von ‚Ab ins Beet‘ innerhalb einer Woche – egal bei welchem Wetter – einen öden, verkommenen Wildgarten auf rechts dreht und in einen stylischen Wohlfühlgarten mit Lounge Charakter, Grillplateau nebst Muttis Kräuterspirale, einen Kinder Abenteuerpark und balinesischer Rückzugsecke für Oma Hildes Yoga Retreat verwandelt, fühle ich mich zum Narren gehalten. Da werden über Nacht Betonplatten gegossen, die bereits am nächsten Morgen gepflastert, mittags eingesandet und zum Nachmittag bepflanzt werden. Wann ist denn der Beton bitte getrocknet? Gelten die Gesetzmäßigkeiten der Bauphysik in solchen Sendungen etwa nicht? Man lässt den Zuschauer ja in dem Glauben, man könne sich von einem auf den anderen Tag einen mittleren Dschungel in der Baumschule seines Vertrauens einpacken lassen und schwuppdiwupp in den Garten kippen – wenn das so einfach wäre.
Das Gleiche gilt im Übrigen für die zahlreichen Innen- und Außen Architektinnen, denen es in wenigen Tagen gelingt, aus einer gewöhnlichen, rustikalen Doppelhaushälfte aus den 70ern einen durchgeknallten Thementempel zu kreieren, als hätte man eine Penthouse Suite im Bellagio in Las Vegas gebucht. Fragt eigentlich auch jemand mal danach, was so was überhaupt kostet?! Traurig ist nur, dass ich mich als Handwerker schon öfter mit solchen Formaten messen musste, wenn den Leuten im TV vorgegaukelt wird, eine vollständige Wohnung ließe sich innerhalb einer Woche komplett durchrenovieren.
Mein letztes Beispiel zur Verdeutlichung der entrückten Fernsehwelt ist der Besuch in einer Notaufnahme im Krankenhaus. Als Vater von drei Kindern und mittlerweile fünf Enkeln habe ich schon viele Stunden in den Warteräumen diverser Notaufnahmen verbracht. Sei es nach Sportunfällen, Ballettverrenkungen oder Fahrrad-Stunts. Es geht ja zum Glück nicht ‚der Reihe nach‘, sondern immer nach der Dringlichkeit der Verletzung (das Verstehen leider nur die wenigsten…). Derjenige mit dem ‚appen Bein‘ bedarf nun mal dringender der Vorstellung beim Unfall-Chirurgen als das hibbelige Kleinkind, das aus Versehen am Katzenfutter genascht hat. Mein Respekt gilt dem Personal, dessen Geduld oftmals aufs Äußerste strapaziert wird. Doch worin besteht jetzt das Missverhältnis zwischen der Realität und den verschiedenen Fernsehformaten wie dem Bergdoktor, Medicopter 117 oder den Rettern aus der Luft? Im TV hält ein gut aussehender Rettungssanitäter das Händchen im Hubschrauber oder im RTW und es geht immer direkt in einen freien OP – Schnitt – in einem lichtdurchfluteten Krankenzimmer mit vielen Blumensträußen steht ein Arzt am Bett und lächelt Sie mit den Worten an: „Da haben Sie noch mal Glück gehabt…!“
Toi, toi, toi – bleiben Sie gesund
Ihr Gregor Kelzenberg