Eigentlich blättere ich in diesen Lifestyle-, Wohn- und Einrichtungs-Zeitschriften mit Hochglanzumschlag nur in Wartezimmern und käme niemals auf die Idee, mich in solchen Magazinen über neueste Wohntrends oder andere Lebensumfeld-Tendenzen zu informieren. Eine Rubrik finde ich jedoch immer besonders amüsant, weil sie so herrlich weltfremd ist und an der Zielgruppe der Leserschaft extrem vorbeischießt.
Unter der Überschrift ‚Zu Besuch bei …‘
wird irgendwo ein Designer-Ehepaar in einer außergewöhnlichen Immobilie an einem exklusiven Ort dieser Welt aufgesucht und deren Behausung von professionellen Fotografen gekonnt in Szene gesetzt. Der Erwerb einer solchen Unterkunft setzt entweder ein großzügiges Vermächtnis oder die mehrfache, erfolgreiche Teilnahme bei ‚Wer wird Millionär‘ bis zum Erreichen der zwölften Frage voraus. Wie sonst käme man an einen neo-
klassizistischen Palazzo in Mailands Altstadt oder die alte, pittoreske Werfthalle einer Motorboot-Manufaktur am Luganersee mit Loftcharakter und Anlegesteg an der Küchenterrasse?
Diese Anwesen sind in der Regel mit ebenso ausgefallenen Möbeln ausgestattet, die nicht am Wochenende in hiesigen Prospektbeilagen beworben werden. Auch die Bilder und Kunstobjekte stammen nicht vom Trödelmarkt, sondern aus exklusiven Auktionen bei Sotheby’s und dem Abverkauf der ‚documenta‘ in Kassel. Oft wird auch aus und über den Garten berichtet, ob mit oder ohne Swimmingpool in olympischen Wettkampfmaßen, der in dem dargestellten Zustand der täglichen Zuwendung von 4 bis 5 Gärtnern und Poolpflegern bedarf. Die Gestaltung dieser faszinierenden Parkanlagen wird wortkarg mit dennoch markanten Formulierungen beschrieben. Hier ein Beispiel: „… die Linienführung ist klar und natürlich zugleich – alle Blickachsen fokussieren den 800 Jahre alten Olivenbaum, der in einem interessanten Dialog zur begehbaren Edelstahl-Installation eines befreundeten Künstlers steht …“ Meine eigene Blickachse ist: aus dem Fenster, geradeaus.
Man sollte diese ungezwungenen Momentaufnahmen aus dem Familienleben der Rich & Beautifuls hinterfragen und hinsichtlich des Echtheitsgehaltes interpretieren:
Da sitzen Sven und Annika (Namen von der Red. geändert), zwei pubertierende Jugendliche mit der reizenden Labradorhündin Audrey (wegen des Tiffany Halsbandes), die vor dem Foto-Shooting extra beim Frisör waren (einschließlich Audrey) auf der freitragenden, geländerlosen
Plexiglas-Treppe zur offenen Bibliothek des Halbgeschosses und lassen ihre Beinchen mit bunten Gummistiefeln lässig baumeln. Was ist an diesem Bild falsch? Einfach alles! Außer den asiatischen s/w Großformaten im Hintergrund, die eine bäuerliche Reisernte Szene im Morgennebel darstellen (frühe Ming Dynastie). Den Kindern wurde unter Androhung von einjährigem Handy-Entzug ein striktes Betretungsverbot der Treppe ausgesprochen und die Gummistiefel hatte der Fotograf als Requisite noch im Kofferraum. Außerdem brauchte das vierköpfige Shootingteam für den „aus dem Leben gegriffenen Schnappschuss“ mehrere Dosen Hundeleckerlies, um Audrey auf die durchsichtigen Glasstufen zu locken – um den Rest kümmert sich die Bildbearbeitungssoftware.
Meine Frau würde bei all dem Interieur und dem vielen Nippes fragen, wer denn den ganzen Klimbim eigentlich putzt. Hierüber wird in dem Artikel nichts geschrieben und die Wahrheit wird wahrscheinlich niemand erfahren. Die Kinder spielen sowieso lieber mit ihren Freunden auf der Straße, Audrey muss zurück in den Zwinger und gekocht wird in der Einliegerwohnung.
Dabei sah der geflochtene Weidenkorb mit dem bunten Marktgemüse auf dem freistehenden, handbehauenen Granitküchenblock sooo authentisch aus. Annika fragte noch Sven, was denn der armlange, silbrige Flipper auf dem großen Holzbrett mit all den grünen Kräutern solle. „Ach – das ist also ein Lachs. Und ich dachte immer, Fisch wäre so 8 mal 3 Zentimeter lang, fingerdick und goldbraun paniert.“
Bei uns zu Hause hängen jedenfalls Bilder von den Kindern oder Motive, die uns gefallen. Einfach so. Sollte nächstes Jahr als Wandfarbe wieder Mint oder Taupe en vogue sein, lasst mich ja in Ruhe. Vielleicht kommen ja auch bald wieder braune Cord-Sofas in Mode – dann solltet ihr allerdings den Sperrmüll bewachen. Ich bin ja froh, dass die Zeit mit den puristischen, weißen Hipster-Rennrädern vor der Backsteinwand endlich abebbt – war ’ne schlimme Epoche.
Jetzt aber Schluss für heute, ich muss noch am oberen Heli-Port den Rasen mähen – wir bekommen am Wochenende Besuch aus Monaco und dann soll schließlich alles picobello aussehen. Wenn die zurückfliegen, bin ich wieder der Dumme, der die Blätter aus dem Pool holen darf.
Ist doch immer das Gleiche …
Gregor Kelzenberg