In meiner Jugend – so vor 40 Jahren – galt ein Pfund Kaffee bei der damals älteren Generation als etwas ganz Besonderes, etwas Wertvolles, eine zu behütende und begehrenswerte Kostbarkeit. So kann ich mich erinnern, dass zwischen meinen Omas, Tanten und ähnlich Gleichgesinnten zu allen möglichen Anlässen ein verpacktes Pfund Kaffee, eingeschlagen in bereits mehrmals benutztes Geschenkpapier mit Stroh-Sternmuster, ausgetauscht wurde. In Ermangelung von transparentem Tesafilm, der den Jahrgängen um 1920 noch befremdlich war, waren die Pakete immer mit einem roten Küchengummi umspannt. Ausgepackt wurden diese Päckchen jedenfalls nie. Warum auch? Man wusste ja, was drin war: ein Pfund Kaffee.
Und wieso fällt mir das jetzt wieder ein? Weil unsere Kaffeemaschine daheim den Geist aufgegeben hat und wir uns mit der Anschaffung eines neuen Gerätes auseinandersetzen mussten. Nach über elf Jahren und mehr als 18.600 Tassen Kaffee oder Espresso stellt sich für uns die entscheidende Frage: Soll wieder ein Vollautomat oder ein modernes Kapselsystem her?
Eine Fragestellung, die den leidenschaftlichen Kaffeegenießer auffordert, intensive Recherchen anzustellen, das ‚www‘ zu durchforsten und etliche Probetässchen zu gustieren. Beim Autokauf hieße die Gretchenfrage „Diesel oder Super?“, beim Urlaub „Balearen oder Bayern?“ „Stiefel oder Flip Flops“ … Wenn man das riesige Angebot gesichtet hat und meint, den Durchblick zwischen Anspruch, Preis und Leistung zu haben, fällt die Antwort aber trotzdem nicht leichter. Also verlasse ich mich ausnahmsweise einmal auf die Werbung und wandle auf den Spuren eines großen Schauspielers.
Wer sich für das Kapselsystem entscheidet, kommt jedenfalls nicht umhin, mal einen der einschlägigen Shops zu besuchen. So schreite ich erstmalig in einen dieser anmutigen Verkaufsräume, nicht ahnend, was mich dort erwartet. Die XXL-Poster im Schaufenster verleiten mich, noch cooler zu grinsen als George Clooney es vormacht. Mit lässigem Schritt – Brust raus, Kreuz hohl und Pobacken zusammen – schlendere ich durch den Mokkatempel, als wäre ich hier groß geworden.
Mit Kennermiene lehne ich mich weltmännisch an einen der Tresen, in denen Grand Crue Kapseln ausgestellt werden wie die Kronjuwelen in London. Eine matt gepuderte Schönheit im eng geschneiderten Kostüm – das auch durchaus einer Luxusairline würdig wäre – mit cappuccino-farbenen Nylons in atemberaubend hohen Schuhen haucht mich mit lasziver Stimme an: „Ristretto, Fortissio oder Volluto?“
Ich dreh mich um – keiner hinter mir.
Sie meint tatsächlich mich! Dabei möchte ich doch nur Kaffee kaufen! Ich komme mir vor, wie Eros Ramazzotti beim Casting für einen italienischen Erotikfilm. „Sie können auch gerne einen Livanto, Arpeggio oder einen Dulsão de Brasil probieren, ein reiner Arabica mit ausgewogen samtiger Milde und leichter Wildhonignote!“, säuselt die Kapselkönigin. Ich stutze: „Häää?! Haben Sie auch normalen Kaffee?“
Schließlich entscheide ich mich für sechs Verpackungseinheiten der Sorte, deren Farbe mir am besten gefällt, während Naomi mich mit ihren chipslettengroßen Wimpern anklimpert. Beim Bezahlen beugt sie sich zu mir herunter und fragt, ob ich denn Mitglied im Club sei. „Tja – äh, früher war ich im Turnverein und die Mitgliedskarte vom Fitnessstudio hab ich heute leider nicht dabei.“
Wenn ich in diesem Moment der langbeinigen Aromadiva einen grün verpackten Eduscho-Barren meiner Oma auf die Theke gelegt hätte, wäre sicherlich – alarmiert durch ein diskret ausgelöstes Signal – ein Nespresso-Sonder-Einsatz-Kommando in den Laden gestürmt, um mich als
gewöhnlichen Kaffeebrüher abzuführen.
Am Ende habe ich dann doch wieder einen klassischen Vollautomaten beim Händler des Vertrauens gekauft.
Dem Clooney wär das nicht passiert …
Ihr Gregor Kelzenberg
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