Während meiner abendländisch- / niederrheinischen Erziehung hat man mir vermittelt, ältere Personen höflich mit Anstand zu grüßen, dabei die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen und zumindest einen kopfnickenden Diener anzudeuten. Würde ich einen Hut tragen, käme noch ein „habe die Ehre“ beim Lupfen der Kopfbedeckung hinterher genuschelt. 

Meines Wissens hat sich weder am Knigge noch an den allgemeinen Umgangsformen etwas geändert. Dennoch hat die Generation ab Modellreihe Golf II (oder auch Nokia 3210) so einiges schleifen lassen. Der (oder die) Jugendliche von heute braucht nicht die Hände aus den Taschen zu nehmen, weil er mit der einen sein Handy vors Gesicht hält und mit der anderen den Coffee-to-go-Becher, ggfs. auch eine Dose Red Bull oder die E-Zigarette. Gehört hätte er den anderen ohnehin nicht, aufgrund seiner In-Ear-Phones bzw. den Noice-Cancelling Dr. Dre’s Kopfhörern. Die Kappe mit dem nach hinten gedrehten Schirm nimmt der Jugendliche in der Regel nur beim Duschen oder zum Haareschneiden ab (wenn überhaupt …).

„Ey Alder – was geht ab?“ So oder so ähnlich klingt eine neuzeitliche Begrüßungsformel und implementiert eine Kommunikation auf der Vertrautheit des sich Duzens. Das respektvolle, höfliche ‚Sie‘ als Anredepronomen gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Ich habe noch gelernt, dass der Ältere dem Jüngeren das ‚Du‘ anbietet. Mir geht es nicht darum, Mauern zu ziehen oder Distanz hervorzurufen, aber meines Erachtens bedarf es einer bestimmten Vertrautheit und Respekt, bevor man sich duzt. Ein plumpes, unbedarftes ‚Du‘  gegenüber einer älteren Person empfinde ich als unachtsam, anmaßend und drückt eine gewisse Geringschätzung aus.

 

Selbstverständlich kommt es auch immer auf die Umstände und das Umfeld an. Wenn ein Köbes im Uerigen (oder von mir aus auch – um die Weltanschauung zu bewahren – im Früh) in die Runde fragt: „Für Euch noch ’ne Runde Bier?“ ist das absolut o.k. und niemand würde das befremdlich finden. Auch bei Ikea wird kein Schrank und kein Blumentopf weniger verkauft, wenn die Kunden künftig mit ‚Sie‘ angesprochen werden. Sie wissen schon: „Lebst Du noch, oder wohnst Du schon?“ Dabei wird in Schweden ausschließlich der König mit ‚Sie‘ angesprochen. Lässt sich daraus vielleicht die Philosophie ableiten, dass bei Ikea jeder Kunde ein König ist …?

Wie grotesk würde es denn auch klingen, wenn unsere Frau Merkel ein „Grüß Dich Gustaf, alter Schwede“ beim nächsten Staatsbesuch in Stockholm von sich geben würde?

In bestimmten Kreisen ist das Duzen sowieso gang und gäbe. Unter Ballonfahrern, auf Skihütten über 1500 m, bei Polospielern oder unter Päpsten ist die Lässigkeit in der Ansprache in den Statuten verordnet. Auch in der Schule galt die Regel, ab Oberstufe wird der Schüler mit seinem Familiennamen angesprochen. Vielleicht sollte ja damit der nun beginnende ‚Ernst des Lebens‘ eingeläutet werden. Aus bisheriger Vertrautheit soll nun angeordneter Respekt entstehen. Why not? Es war schon nicht leicht in der Jugend, die Situation dahingehend einzuschätzen, ob ich mich jetzt als 18-Jährigen ausgebe, etwa im Kino, oder noch den Heranwachsenden mime, der an der Stadionkasse seinen Schüler-Ausweis vergessen hat.  In die Kneipen, in denen man mich ehemals gefragt hat, ob ich denn schon Bier trinken dürfe, bin ich schon aus Prinzip bis heute nicht mehr hingegangen. 

Ich grüße Euch und Sie natürlich auch …

Ihr Gregor Kelzenberg