Endlich ist sie da, die Schönste der vier Jahreszeiten, obgleich jede andere auch ihre unverkennbaren, eigenen Vorzüge hat. Mit der Umstellung der Uhrzeit und dem Start der Muschel-Saison beginnt für mich jährlich eine neue Genuss-Zeit. Adieu Grauburgunder und Riesling, war ’ne schöne Zeit mit euch. Seid mir gegrüßt ihr edlen Riojas, ihr Gran Reservas und Crianzas, willkommen in hochstieligen Gläsern und meiner Kehle. Hier kommt der Befreier aus der kollektiven Gruppenhaft aus dem Barrique und feuchten Kellern.
Wenn die To-do-Listen im Garten immer kürzer werden (ich hasse Laub aufkehren) verbleibt mehr Zeit fürs Kochen und gemeinsame Genießen. Ich koche (und esse) mit großer Leidenschaft, ohne mich deshalb als Koch bezeichnen zu wollen. Dies wäre eine Beleidigung für diejenigen, die dieses ehrbare Handwerk erlernt haben. Wer einen Sportwagen fährt, ist deshalb ja auch noch lange kein Sportler …
Vielleicht inspirieren mich ja die vielen Kochsendungen im Fernsehen, von denen es mittlerweile mehr als genug gibt. Rund um die Uhr wird gegart, gegrillt, gedämpft, gehackt und dabei viel zu viel gelabert. Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass eine Kochsendung, die von einer überdrehten Barbie moderiert wird, am Sonntagabend zur Primetime die Alternative zum Tatort darstellt? Ich erinnere mich gerne an die ersten Sendungen vom Herd, in denen Alfred Biolek ständig mit vollem Mund plapperte und mit einem Glas Rotwein in der Hand von der gusseisernen Pfanne seiner Oma aus Böhmen schwärmte. Ich ging damals immer hungrig ins Bett.
Im Übrigen stammt auch mein erstes Kochbuch ‚Alfredissimo‘ aus dieser Zeit – ein Knaller! Das gefüllte Zitronen-Hähnchen in Martini war lange Jahre auf der Bestenliste unserer häuslichen Winterrezepte.
Aber das Kochen hat auch seine Schattenseiten. Meine Frau bekommt jedes Mal Schnappatmung, wenn ich vorschlage: „Heut kocht der Papi mal …“ In ihren Augen bin ich ja der Küchen-auf-den-Kopf-Steller-und-alle-Geräte-Benutzer. Ich möchte einmal so rumsauen wie Tim Mälzer: Pro Gang drei Handtücher schmutzig machen, das Spülbecken zukrempeln mit gebrauchten Pfannen, Töpfen und möglichst nur einmal benutzten Spezialwerkzeugen (Schneckenzange, Austernhandschuhe, Parisienne Ausstecher, Avokadokern-
zieher …) und am Ende sagen: „Gekocht hab ich, spülen könnt ihr jetzt mal …“
Auch möchte ich mal in so ein gesundes, grünes Küchen-Kräuter-Ensemble greifen, wie es die Fernsehköche vor sich stehen haben. Meine im Supermarkt gekauften Basilikumme sehen daheim schon nach einem Tag aus wie ein Ficus Benjamini auf der Fensterbank im Klassenzimmer am Ende der Sommerferien. Trotz herzlicher Streicheleinheiten (hab ich im Fernsehen gesehen, soll helfen), optimaler Lichtbedingungen und regelmäßigem Wässern verweigern mir die Küchenkräuter ihren Dienst und erinnern an einen abgeschmückten Weihnachtsbaumzweig in der Osterzeit. Dabei schmeckt das Basilikum eigentlich auch nach nichts, außer nach exotischer Zahnpasta.
Wenn der übelste aller deutschen Buffet-
klassiker, die Tomaten-Mozzarella-Platte mit Basilikum-Garnitur, aufgetischt wird (übrigens der Nachfolger des mit Alufolie umwickelten halben Kappes, bestückt mit bunten Plastik-Stickern mit Holländerkäse, Mandarinen und/oder Trauben, 2-farbig!), ist aber Sabbat im Gourmet Tempel.
Der hierzulande erhältliche Mozzarella di Bufala schmeckt nach nassen Bierdeckeln und die Treibhaus-Gen-Tomaten aus Down Under bei Alkmaar werden auch durch mit künstlerisch geschwungener Spritztülle aufgetragener, eingedickter Balsamico Creme nicht besser. Es heißt ja, das Auge isst auch mit.
Wenn eine so beschriebene Vorspeisenplatte bei Zimmertemperatur schon drei Stunden unter der Frischhaltefolie auf die Gäste gewartet hat, wird selbst das blindeste Auge zum Veganer. Für Notfälle hab ich ja dann noch die Lieferando-App. Für den Preis und den Geschmack kann ich zu Hause den Herd nicht anwerfen – und spülen muss auch keiner. Außerdem kann ich am Sonntagabend die Lümmelhose anlassen – die bringen mir die Pizza-Kartons bis in die Küche. Nur den lieblichen Rotwein, den haltet mir bitte vom Leibe.
Schönes Wochenende …
Ihr
Gregor Kelzenberg