Im zurückliegenden Urlaub fiel mir bei den Reisenden im Umgang mit ihrem Gepäck auf, dass kaum noch jemand seinen Koffer trägt (im Sinne von tragen, also am Griff). Vom größten 2 Zi., Kü., Diele, Bad begehbaren Luxus-Weltreise-Koffer bis zur Mini-Bordgepäck-Clutch ist alles nur noch auf Rollen unterwegs. Natürlich mit den unkaputtbaren 4-Wege Multiwheel-Doppellenkrollen mit Allwetterprofil und Felgen im Alu-Look, mit denen man lautlos in Schiphol die drei Kilometer vom Flugsteig A nach D gleitet. Würde ich mich am Ende der Rolltreppe vor Gate 54 mit einem Pappbecher neben meinem karierten Oldschool-Stoff-Koffer im Burberry-Fake-Muster mit starrer Einzelachse niederlassen, hätte ich gewiss nach wenigen Stunden die erste Rate für einen neuen Hightech-Trolley beisammen.
Aber die neuen Koffer können weit mehr als nur rollen: Der Mann (oder Frau) von Welt hat heute außerdem einen USB Anschluss an der Außenseite seines Gepäckstücks (wg. des 11. Gebots: Du sollst immer erreichbar sein!) und wer besonders wichtig ist, überträgt schon daheim den Strichcode des Kofferanhängers via Bluetooth auf das Display seines Luxus Carbonat Trolleys. Der Neupreis für solch einen Lifestyle-Koffer dürfte locker dem Budget einer vierwöchigen Backpacker Reise auf Kreta entsprechen …
In der Werbung hab ich jetzt ein Modell gesehen, das einem lautlos, von unsichtbaren Kräften angetrieben, auf Schritt und Tritt in diskretem Abstand folgt. So hat der Reisende der Zukunft die Hände frei für sein Smartphone und den unverzichtbaren Coffee to go Becher (wie hat man das nur früher gemacht?!). Beruhigend ist nur, dass die Grundfunktion eines Koffers erhalten bleibt: Man sollte sein Gepäck darin verstauen können.
Wenn Sie schon mal in einer gepflasterten Fußgängerzone einer europäischen Metro-
pole ein ebenerdiges Zimmer zur Straße bezogen haben (Sevilla fällt mir schweren Herzens ein), verfluchen Sie sowieso alle Early-bird-Reisenden mit Trolleys, die bereits um 6.30 Uhr am Flughafen sein müssen. Das Gescheppere der Hartplastikrollen reißt einen garantiert aus dem Tiefschlaf. Ab drei Reisenden gleicht der Geräuschpegel einem Truppenübungsplatz während des Herbst-Manövers, es sei denn, es handelt sich bei der Gruppe auch noch um Holländer – dann aber ’nacht Mattes‘ …
Zu einer weiteren Erkenntnis gelangte ich im Rahmen meiner Feld- beziehungsweise Flugplatz-Studien hinsichtlich des Verwendungsortes der berollten Gepäckstücke: Wer den Flieger am vorderen Eingang betritt, um seinen Sitzplatz in Reihe 4 (Er: 4A, Sie: 4B) zu belegen, fährt für diese mini Strecke von 3,20 m den Teleskopgriff aus seinem Bordgepäck aus, um dieses auch jaaaa kein Stück zu weit durch den ohnehin schmalen Mittelgang tragen zu müssen. Kaum ist dann der Koffer in der oberen Gepäckablage verstaut und alle haben ihren Sitzplatz eingenommen, dürfen zwei Passagiere wieder aufstehen – weil er sein aufblasbares Nackenhörnchen im Handgepäck vergessen hat (aber dies ist eine andere Geschichte).
Tatsache ist, dass jede waagerechte Wegstrecke, ob geschotterter Fernwanderweg oder feinsandiger Strandabschnitt, via Rollen bewältigt wird. Rollkoffer = Trageverbot. Da lob ich mir die pragmatischen Rentner in Griechenland, die mit den blauen Ikea Tragetaschen jede Weltreise antreten oder von der Insel zum Festland hoppen. Mit einem maximalen Packvolumen und einem (fast) garantierten Zusatznutzen, den weder Rimowa noch Samsonite bieten können: a) nicht nur unkaputtbar, sondern b) auch nicht ‚diebstahlwürdig‘, und das für nur zwei Euro!
Gute Reise wünscht Ihnen
Ihr
Gregor Kelzenberg