Wie schnell hat man sich an all den Wohlstand und seine komfortablen Begleiterscheinungen gewöhnt, (fast) alles sofort, jederzeit und ohne viele Umstände zu bekommen, wenn es sein muss – dem Online-Handel sei es gedankt – sogar binnen 24 Stunden. Unser Strom kommt natürlich wie selbstverständlich aus der Steckdose, das Gas aus irgendwelchen Pipelines, weiß der Kuckuck woher und das Klopapier liegt palettenweise beim Discounter in Gang 3. Wer möchte, bekommt sein Suppengrün mit kleinen E-Lastwagen gebracht und das Schleppen der Getränkekisten überlässt man besser den rüstigen Studenten, tun die doch auch mal was Sinnvolles…
Der reiselustige deutsche Vielflieger genießt vor dem Wochenendtrip nach Malle noch einen Aperol Spritz in der Hugo Junkers Lounge und reckt zwei bis drei Stunden später sein müdes Skelett im balearischen Clubsand. So oder so ähnlich sah es bisher aus. Doch die Welt dreht sich weiter, leider nicht immer in dem uns vertrauten Gleichmaß. Im Moment habe ich das Gefühl, unsere Erdachse hat eine Unwucht und eiert so vor sich hin – unsere austarierte Komfort-Waage hat leichte Schlagseite.
Wir merken, dass die Klimakrise nicht mehr nur auf dem Papier stattfindet, wir sind schon mittendrin! Die Verwundbarkeit der Weltbevölkerung wird uns durch lästige Viren vorgeführt, seit dem Überfall de(s)r Russen auf die demokratische Weltordnung werden bei uns die Pommes teurer und dann steht auch noch ein Schiff im Panama Kanal quer. Unangemessene Ansichten einer tatsächlichen, globalen Katastrophe. Leider ist es nicht die oft zitierte ‚Verkettung unglücklicher Umstände‘, sondern größtenteils hausgemachtes Chaos, das wir selbst zu verantworten haben. Die medizinischen Produkte kamen aus China, die Microchips aus Taiwan, das Gas aus Russland und das Getreide aus der Ukraine. „Wer hat’s erfunden?“ – die Schweizer jedenfalls nicht …
In Deutschland muss es ja immer einen Schuldigen geben, deshalb schimpft im Wartezeiten-Chaos an den Flughäfen die Gewerkschaft über den Bundesgrenzschutz und die Lufthansa über ihre Tochterunternehmen, auf die sie sonst sooo stolz sind.
Während man bislang die Tortur des Abtastens und die Belehrungen hinsichtlich der Füllmengen eines Deo-Sprays über sich ergehen lies, ist man heute froh, schließlich dem Endgegner an der Sicherheitskontrolle in seinem schlecht sitzenden Polyesteranzug gegenüberzustehen, um im Hosenbund nach Dynamitstangen oder Brotmessern abgesucht zu werden.
Dass man es dann zum Beginn der Sommerferien auf einmal mit personellen Engpässen zu tun hatte, kam für die Verantwortlichen extrem überraschend. Da sind unsere Politiker ja vorausschauender: angesichts der zu erwartenden ‚Gasmangellage‘ werden wir jetzt schon aufgefordert, den Gürtel im Winter enger zu schnallen. Wir reduzieren die Wohlfühltemperatur in beheizten Innenräumen um ein bis zwei Grad und ziehen stattdessen noch ein Pullöverchen drüber.
‚Verzicht‘ lautet das Gebot der Stunde. Im Sommer hören wir auf, unsere Autos zu waschen, den Rasen zu sprengen und kosten morgens auch mal vom Frühtau auf den Rhabarberblättern. Wenn dann während der kommenden, klimaneutralen Advent-WM in Katar die schönen neuen Stadien bei 45 Grad Umgebungstemperatur auf 22 Grad runter gekühlt werden, lehnen sich die Scheichs bequem zurück und genießen ihren alkoholfreien Glühwein in der Gewissheit, Herrn Habeck bei den Gasexporten ein gutes Angebot gemacht zu haben. Das Prädikat ‚klimaneutral‘ bezieht sich in diesem Fall übrigens auf die WM der kurzen Wege – die Stadien liegen halt nah beieinander. Kein Wunder, ist Katar doch nur knapp so groß wie Hessen.
So dürfen wir denn gespannt sein, ob wir an Weihnachten mit Fellmütze und Moonboots um den Christbaum tanzen oder es unseren Politikern gelingt, das Ruder wieder rechtzeitig in die Hand zu bekommen.
Ihr
Gregor Kelzenberg