Seit Mai 2018 machen Steffi und Stefan Schinken aus einem 150 Jahre alten Altstadtbau im Herzen von Viersen ihr Eigenheim – und berichten über das ‚Projektschlossschinken‘ detailgenau bei Instagram.

Dieses Haus. Regelmäßig spaziert Steffi Schinken mit ihrem Sohn an diesem Haus vorbei, das sie einfach nicht loslässt.

Die Rollläden bewegen sich nicht, Sonntags- Zeitungen und Werbezettel von der Stehpizzeria werden nicht reingeholt, und überhaupt spricht der Gesamtzustand dieses Hauses nicht wirklich dafür, dass hier jemand lebt. Also hebt Steffi Schinken eines Tages, als sie zum x-ten Mal an diesem für sie so faszinierenden Haus vorbeikommt, die Klappe des Briefkastens hoch und wirft einen vorsichtigen Blick in den Flur. Eiskalte Luft kommt aus einem leeren Haus zurück und sorgt für Gewissheit: Hier wohnt ganz sicher niemand mehr. Also wird im Telefonbuch nach dem Namen gesucht, der auf dem Klingelschild steht und angerufen. „Das wollten wir im Sommer eh zum Verkauf anbieten“, ist die verblüffende Antwort.

Das ist drei Jahre her. Und natürlich haben Steffi und Stefan Schinken nach zwei Besichtigungen zugeschlagen. Es ist nicht das, was das Haus zum Zeitpunkt des Kaufes ist, was sie so fasziniert. Sondern es fasziniert, was das Haus sein könnte. Die beiden haben das klar vor Augen und fühlen anfangs eher die Magie des Hauses als dass sie sie sehen. Sie nennen es fortan ‚Schloss‘ und beginnen zu planen. Anfangs in einem Textdokument auf dem Rechner, das sie immer wieder erweitern und fortschreiben. Später dann auf den Grundriss-Plänen des Hauses. „Anfangs war keine Zimmeraufteilung erkennbar“, sagt Steffi. „Es haben mal mehr und mal weniger Leute in dem Haus gewohnt, und irgendwie gab es nur ein Mini-Bad für alle im zweiten Obergeschoss.“ 15 Zimmer gab es vorher, und irgendwie passte das alles nicht zusammen.

Klar ist von Anfang an: Das hier ist ein Mammutprojekt, eine Kernsanierung von insgesamt 240 Quadratmetern, aufgeteilt auf drei Etagen im Haupthaus und zwei Etagen im Anbau. Dort findet eine Umwidmung zum Wohnraum statt: Denn hier war vorher eine Schreinerei untergebracht, ohne Strom- und Wasserleitungen und ohne vernünftige Bodenplatte. Der Dachstuhl vom Vorderhaus ist noch mit Strohpuppen gedämmt, das Flachdach vom Anbau ist durch einen Bombensplitter aus dem Zweiten Weltkrieg teilweise eingesackt. Ein Architekt hat bei der Badezimmerplanung und den nötigen Genehmigungen geholfen, das restliche Raumkonzept erarbeiten die beiden in unzähligen Stunden selbst.

Es braucht nicht viel, um zu begreifen, dass Steffi und Stefan Schinken verliebt sind in dieses Haus. Dazu muss man nicht einmal auf der Baustelle vorbeikommen, auf der noch heute und vermutlich noch lange Zeit gearbeitet wird. Dazu reicht ein kurzes Gespräch mit den beiden, die zurecht stolz sind auf das bisher Erreichte. Oder es genügt auch ein Blick auf die Instagram-Seite @projektschlossschinken, auf der in mehr als 300 Beiträgen (und unzähligen Storys) über den Baufortschritt berichtet wird.

Angefangen bei den Rohbauarbeiten, als der gesamte Anbau entkernt werden musste, Decken und Trennwände raus kamen, der Putz abgekratzt und der Boden knapp einen Meter ausgehoben wurde. Das erste große Projekt in Eigenleistung, bei dem die beiden auf viele helfende Hände aus dem Familien- und Freundeskreis angewiesen waren. Oder als die Fassade saniert wurde und die alte Latexfarbe abgekratzt werden musste, ohne die unbedingt erhaltungswürdigen Verzierungen zu zerstören. An Heiligabend, Silvester, Neujahr – alles für das große Projekt.

Da werden Dielenböden selbst abgeschliffen und Fehlstellen ausgebessert, da werden 200 Quadratmeter Innenfläche mit Holzfaserplatten gedämmt und eine wunderbare alte Treppe komplett per Hand abgeschliffen. „Wir sind nicht völlig talentfrei und definitiv motiviert gewesen, aber von echten handwerklichen Fähigkeiten konnte am Anfang nur vereinzelt die Rede sein“, sagt Stefan. „Da haben wir uns viel von den Handwerkern zeigen lassen und von unseren Vätern, das war viel Learning by Doing.“

Für die beiden ist Fertigbau genauso wenig etwas wie Wohnen in einem Neubaugebiet. Sie lieben es individuell und durchaus auch geschichtsträchtig. Und so freuen sie sich über jede alte Fliese, die sie erhalten können, über jede der vielen Decken-Malereien, die sie vorsichtig freilegen und erfahren immer mehr über die Geschichte dieses Hauses, das als Teil einer Häuserreihe vor 150 Jahren von einem Bauunternehmer errichtet wurde.

Und so wundert es kaum, dass die beiden dafür gesorgt haben, dass nicht mehr nur die Hausfassade, sondern inzwischen das ganze Haus unter Denkmalschutz steht. Schneller Konsens mit der Dame von der Behörde: alles, was erhaltenswert ist – also die Dielenböden, der Stuck, die alten gemusterten Bodenfliesen und die Deckenmalereien – soll erhalten bleiben. Neue Holzfenster und eine historische Türe, auf die Teile der Originaltüre aufgesetzt werden, zieren das Anwesen von außen. Darüber hinaus betonen die Bauherren die Geschichte des Hauses in einzelnen Elementen: Die neue Treppe im Anbau ist passend zur ehemaligen Schreinerei aus Stahl und eher industriell, Stahlträger bleiben sichtbar und auch eine Backsteinwand in der Küche bleibt unverputzt. Das ist ein respektvoller Knicks vor dem alten Gebäude, in das sich die beiden so schnell verliebt hatten und für das sie sich ja bewusst entschieden haben. „Wir haben von Anfang an versucht, den Charakter des Hauses und seine historischen Schätze zu bewahren, es aber zugleich zu unserem Zuhause zu machen“, sagt Steffi Schinken.

Es sind die unzähligen magischen Momente, die während der staubfressenden und schweißtreibenden Arbeit für Motivationsschübe sorgen. Als das Fassaden-Gerüst weg war und die neue, frische grüne Wandfarbe zu sehen war. Als die massive dunkelbraune Haustür eingebaut wurde. Als der erste Raum weiß gestrichen gestrahlt hat. Als das Dach gedeckt war, der neue Wasserhahn nicht nur glänzte, sondern auch lief und zuletzt, als man endlich das Schlafzimmer bezogen hat.

Denn das ‚Projekt Schlossschinken‘, es ist gewissermaßen eine Operation am offenen Herzen. „Die Frage war nicht: Wann sind wir fertig?, sondern: Wann ziehen wir um?“, sagt Steffi. Als nach der Rohbauphase nämlich der Staub weniger wurde und ein Raum nach dem anderen fertig gestellt wurde, ist Familie Schinken eingezogen. Erst einmal nur mit fertigem Badezimmer und fertiger Küche. Das Luftmatratzenlager wurde immer da aufgeschlagen, wo gerade Platz war, ob in der Küche oder irgendwo im Wohnzimmer.

Jetzt aber schlafen die Schinkens in ihrem Bett. Unnötig zu erwähnen, dass sie sich lange Zeit Gedanken darüber gemacht haben, wo genau es stehen soll und in welcher Farbe die Zimmerwände gestrichen werden.

Auch drei Jahre nach dem Kauf dieser besonderen Immobilie ist immer noch wahnsinnig viel zu tun, längst ist man aber vom Groben ins Feine gekommen. Schutt wird nicht mehr abtransportiert, und Stress will sich keiner machen. „Wieso auch?“, fragt Stefan. „Wir wohnen ja jetzt in unserem Haus. Das war vorher anders, da hatten wir durchaus Termindruck. Mittlerweile nehmen wir uns auch mal Zeit für andere Sachen. Dieses Jahr steht im Zeichen der Entspannung. Nach langer Zeit waren wir zum Beispiel endlich mal wieder im Urlaub. Die Akkus sind jetzt wieder voll, es geht weiter!“

Zum Beispiel in der Etage mit den Kinderzimmern. Längst ist aus der drei- eine vierköpfige Familie geworden; die beiden Jungs werden, so gut es geht, ins Baustellenleben mit eingebunden. Und ein drittes Kinderzimmer wird Anfang Oktober auch benötigt. Weitere Baustellen im Haus: das Treppenhaus, der Garten und das Arbeitszimmer. „Danach können wir sagen: Wir sind fertig“, sagt Steffi und lacht: „Und wir wissen genau, dass wir dann mit der Instandhaltung anfangen können.“

mle

Instagram @projektschlossschinken