Meine Tochter lädt sich seit Jahren am 25. Dezember die Countdown-App fürs nächste Weihnachtsfest runter. Ein feister alter Mann mit weißem Bart, roter Hose und schwarzen Stiefeln verkündet dann zur Hintergrundmusik ‚Jingle Bells‘, dass es nur noch 364 Tage, 23 Stunden und 59 Minuten bis zum Fest dauern wird – weißte Bescheid!
Wie in jedem Jahr freue ich mich ganz persönlich nicht nur auf das eigentliche Weihnachtsfest, sondern besonders auf die sogenannte ‚besinnliche Adventszeit‘ mit ihren vielseitigen Begleiterscheinungen. So wird beispielsweise die ganze Bude auf den Kopf gestellt und die Möbel spielen Reise nach Jerusalem, wobei der Tannenbaum meines Wissens immer gewinnt. Aus jeder verfügbaren Steckdose quillen ineinander verschachtelte grüne Doppelstecker und Verlängerungskabel, mit denen ich von Rheydt aus ein Bäumchen im Hohen Venn illuminieren könnte. Hinter Sofas und Vitrinen werden Kabel abgewickelt als gelte es, den Bundes-Energie-Verschwender-Pokal zu ergattern.
Ich glaube, die Schaufelräder der Monsterbagger in Garzweiler und Umgebung laufen während der Adventszeit im High Speed Modus. In den Fenstern blinken bunte LEDs, an Balkonen hängen Plastikweihnachtsmänner an Strickleitern und in der Krippe finden sich von Tag zu Tag mehr Hirten ein. Sollte noch ein Schaf fehlen (unsere Staubsauger werden ja auch immer besser), gibt’s zum Glück die Weihnachtsmärkte.
Meine Frau hat außerdem auf einer Fensterbank in der Küche noch eine 8 mal 8 cm freie Stellfläche ausgemacht. Also fahren wir los. Im Parkhaus fallen mir in diesem Jahr viele Opis auf, die das Parkticket von der Schranke bis Ebene 6 beim Rangieren auf Stellplatz 645 im Mund halten und dabei mit ihrer Frau diskutieren. Hoffentlich hab ich so einen nicht beim Rausfahren vor mir – die versuchen nämlich häufig, mit der Quittung die Ausfahrtschranke zu öffnen und betätigen dabei mehrfach die Notruf- oder Sprechtaste.
Auf der weihnachtlichen Kirmes trinke ich mir Mut an und bin nach zwei Glühwein mit Schuss – Maaloxan hab ich vorsichtshalber dabei – bereit fürs Kunstgewerbe. Noch bevor ich drei Reibekuchen mit Zimt verspeisen konnte, hat meine Frau schon geschnitzten Edelkitsch aus dem Erzgebirge (Made in Taiwan) entdeckt und hüpft vor Begeisterung mit einer Nussknackerfigur in der Hand auf und ab: „Wiiiiieeee schön ist der denn!? Würde der sich nicht gut im Gäste WC zwischen der leuchtenden Duft-Pyramide (Kabelbedarf ca. 6 m) und den tanzenden Rentieren auf den Plexi-Schlitten (Kabelbedarf ebenfalls 6 m) machen?“
Ich bedenke die Kaufentscheidung bei einem weiteren Glühwein mit Amaretto-Zugabe und könnte mir gut vorstellen, den bunten Gesellen während der Sommermonate zum Süßstoffspender umzufunktionieren – also kaufen! Weiter geht’s, zwei Maaloxan hab ich noch. Nach drei Stunden Kaufrausch wandern wir mit blauen Fingern vom Tütenschleppen, einem Rumoren im Magen und der Ankündigung von übelsten Schwindelgefühlen zurück zum Parkhaus. Eierpunsch mit Rum scheint irgendwie die Erdanziehungskraft zu verändern …
Immer wieder passieren wir lustige Grüppchen auf dem Rückweg zu ihrem Reisebus mit gelbem Nummernschild. Ausgelassene Freude, blinkende Mützen, leuchtende Elchgeweihe und ’ne Dose Weihnachtsbier … Manno – warum krieg ich so was nie? Vorm Parkscheinautomaten treffen wir den A-Klasse-Fahrer vom Stellplatz 645, der mich fragt, ob ich 10 Euro in Münzen wechseln könnte. Hä?
Der Blick auf die App verrät: Nur noch 17 Mal schlafen – dann haben wir es geschafft!
Ihr Gregor Kelzenberg