Borussia Mönchengladbach feiert am 1. August runden Geburtstag. Was macht die Elf vom Niederrhein so besonders?
Was macht die Faszination von Borussia Mönchengladbach aus? Wie lässt sich so ein Verein greifen? Was macht den VfL so besonders? Am 1. August wird die ‚Elf vom Niederrhein‘ 125 Jahre alt. Runde Geburtstage sind immer ein guter Anlass, um sich zurückzulehnen und sich Gedanken über den Jubilar zu machen. Was macht ihn aus, den viel beschworenen ‚Mythos Borussia‘?
Sind es die fünf gewonnenen Deutschen Meisterschaften, die zwei Uefa-Cup-Siege und die drei DFB-Pokale? Ist es das bei fast allen Spielen ausverkaufte Stadion im BORUSSIA-PARK? Sind es die vielen legendären Spieler, die hier gespielt haben, einige davon geniale Spielgestalter wie Günter Netzer, Lothar Matthäus, Stefan Effenberg oder zuletzt Juan Arango? Die Antwort: Das gehört alles dazu, aber besondere Titel, eine besondere Heimstätte und besondere Spieler haben auch andere Vereine – wenn vielleicht auch nicht viele in der Qualität, wie Borussia es vorweisen könnte.
Die Geschichte des Vereins wurde schon in Dokumentationen erzählt und auf DVDs gepresst, auf mehr als 600 Seiten als Vereinschronik auf den Markt gebracht und sogar auf mehr als 1.100 Quadratmetern in der ‚FohlenWelt‘ inszeniert, jenem großartigen interaktiven Vereinsmuseum auf dem Stadiongelände. Wer sich auf die Spur des ‚Mythos Borussia‘ begibt, der landet natürlich irgendwann bei Bökelberg und BORUSSIA-PARK, bei großen Spielern und funkelnden Trophäen. Es muss aber noch eine Geheimzutat geben.
Je tiefer man in die Historie eintaucht, desto klarer erscheint dieser Mythos jedoch: Es sind natürlich die vielen unglaublichen Geschichten, die dieser Verein erzählt hat. Geschichten, die oft viel größer sind als solche für die Lokalsport-Seite oder ’nur‘ für den Smalltalk am Kneipentresen. Borussia Mönchengladbach hat deutschlandweit und sogar europaweit im wahrsten Sinne des Wortes Fußballgeschichte geschrieben.
Welcher Verein sonst hat die zu der Zeit weltbeste Mannschaft Inter Mailand 7:1 nach Hause geschickt und bekam die Punkte nur deswegen aberkannt, weil ein Mailänder Schauspieler namens Boninsegna eine heranfliegende Dose nutzte, sich theatralisch fallen ließ und dafür sorgte, dass dieser wahnsinnige Sieg aus den Geschichtsbüchern gestrichen wurde? Wo sonst ist ein übereifriger Angreifer ins Tornetz gestolpert, hat damit den Holzpfosten zu Bruch gebracht, woraufhin Platzwarte und Stadionordner verzweifelt versucht haben, das eingeknickte Tor bis zum Schlusspfiff festzuhalten?
Büchsenwurf und Pfostenbruch sind großartige Episoden der Vereinsgeschichte und legendäres Borussia-Vokabular wie die ‚Fohlen-Elf‘. Jener Begriff, den sich ein Reporter ausgedacht hat, weil die Borussia jung und ungestüm an die Tabellenspitze gekraxelt ist. Der Begriff hat sich bis heute gehalten, das Jugend-Internat Fohlen-Stall ist Ansporn und Verpflichtung für die immer noch sehr gute Nachwuchsarbeit im Verein.
Borussia steht auch für einzigartige Ergebnisse. Jeder Fußballfan weiß bei der Zahlenkombination 12:0, dass es sich um den höchsten Bundesligasieg aller Zeiten handelt, herausgeschossen von Borussia gegen die Namenscousine aus Dortmund.
Das 10:0 gegen Eintracht Braunschweig konnte die altertümliche und nur auf einstellige Ergebnisse geeichte Anzeigetafel nicht wiedergeben, das 11:0 gegen Schalke kam auf Schnee zustande. Bei 5:4 bekommen ebenfalls vor allem ältere Fans glasige Augen, steht es doch für das vielleicht beste Pokal-Halbfinale aller Zeiten gegen Werder Bremen.
Apropos Pokal, da war doch was: Im Endspiel 1973 gegen den 1. FC Köln hatte Günter Netzer so eine Idee und hat sich, ohne seinen Trainer Hennes Weisweiler zu fragen, selbst eingewechselt. Dass er das Spiel wenige Minuten später mit einem Traumtor entschieden hat, versteht sich von selbst und gehört zum Mythos.
Alles olle Kamellen? Von wegen! Borussia Mönchengladbach ist auch heute noch ein ganz besonderer Verein. Und dazu haben in den vergangenen 25 Jahren vor allem die Fans beigetragen. Begonnen hat das alles mit dem ersten Abstieg der Klubgeschichte 1999. Oder, wie es die Fans trotzig formuliert haben: „Wir steigen nicht ab, wir wechseln nur die Liga!“
Zum ersten Zweitligaspiel in Chemnitz wurde die sportlich gedemütigte Mannschaft von vielen Fans begleitet. Motto: ‚Der Mythos gibt sich die Ehre!‘ Die Unterstützung der Fans, die Leidensfähigkeit, die unter anderem den Weggang vom geliebten Bökelberg, einen weiteren Abstieg und zwei Last-Minute-Rettungen verkraften mussten, war und ist unglaublich. Sie sind eingestiegen in die Achterbahn, die sich Borussia-Historie nennt, waren zu Europapokalspielen in Rom und Barcelona und standen in Saarbrücken im Regen, als die Mannschaft – mal wieder – im DFB-Pokal eine große Chance hat liegen lassen.
Sie sind ganz sicher wesentlicher Teil des Mythos, weil sie auch wissen, dass das Scheitern bei Borussia einfach dazu gehört. Wie das erwähnte 7:1 gegen Mailand, das annulliert wurde. Wie der 12:0-Sieg gegen Dortmund, der am Ende aber zu wenig war, um Meister zu werden. Geboren in Mönchengladbach, gestorben in Schönheit, hat einer mal über Borussia augenzwinkernd gesagt. Borussia aber wird nicht sterben, sondern hoffentlich noch lange leben. Darauf werden wir am 1. August alle anstoßen!
Sven Platen