Fußballtrikots werden als modisches Accessoire völlig unterschätzt. Zu Unrecht, findet unser Autor – schließlich setzt der Träger oft ein individuelles Statement. Eine Liebeserklärung ans Polyestershirt

Das kultigste Trikot? Erdgas, weiß mit grünem Streifen auf der Schulter. Das erste eigene? Tuborg, schwarz-grün längs gestreift. Das schönste? Diebels, ganz schwarz, weißer Kragen. Vermutlich könnte man unter Fußball-Fans endlos über die besten Trikots des Lieblingsvereins – in diesem Beispiel natürlich: Borussia Mönchengladbach – diskutieren. Denn Trikots sind – auch wenn das vielleicht nicht jeder so sehen mag – eine Mode, und Mode ist nun einmal Geschmackssache. Es gibt zeitlose Designs, aber auch welche, die einem bestimmten Zeitgeist entspringen. Es gibt eng anliegende (heutzutage) und weite (die Neunzigerjahre). Es gibt Grundsatzdiskussionen über Rundkragen, V-Ausschnitte und Kragen – wenn es um das Aussehen der Spielkleidung geht, werden Fußballfans zu einer Art Karl Lagerfeld. Natürlich wird jeder Fan sich wohl auf das Trikot einigen können, in dem der Verein große Erfolge gefeiert hat. Um im Beispiel zu bleiben: Der Dress aus dem ersten Champions-League-Spiel oder das Shirt vom letzten Titelgewinn (DFB-Pokal 1995) ist in jedem Fall Kult.

Ein Trikot ist immer auch ein Statement und gewissermaßen non-verbale Kommunikation. Wer ein Original-Trikot aus den Achtzigern an hat – egal, ob im Stadion, in der Soccerhalle oder in der Freizeit – signalisiert: Ich bin ein alter Hase, mir macht keiner was vor. Wer ein Trikot trägt, in dem der Verein nur ein einziges Mal in der Klubhistorie aufgelaufen ist und das es nicht im Fanshop zu kaufen gibt, ist ein ausgefuchster Sammler (oder der Sohn eines Spielers). Und wer den Aufdruck des Hauptsponsors chirurgisch abgeknibbelt hat, ein Kommerzialisierungs-Gegner (was er dann meistens vergisst: Das Trikot hat er dann trotzdem im Fan-Shop gekauft).  Auch die Wahl des Rückenflocks sagt einiges über den Träger aus – hier der Kurzversuch einer Typologie. Granit Xhaka hinten auf dem (etwas älteren) Trikot? Impulsiver Fan mit Vorliebe für Alphatiere auf dem Platz. Tony Jantschke? Treue Seele mit Faible für ehrliche Arbeiter. Nico Elvedi? Fußball-Taktik-Nerd mit dem Experten-Auge. Marcus Thuram? Liebhaber von positiv durchgeknallten Typen. Jupp Heynckes auf einem aktuellen Trikot? Nostalgischer Spaßvogel. Michael Cuisance? Lassen wir das.

Auch wenn sich ganze Heerscharen von Designern Jahr für Jahr aufmachen, um die Fußball-Trikots für die neue Saison zu entwerfen, kommen dabei selten Kleidungsstücke heraus, die Nicht-Fans als schick bezeichnen würden. Das beweisen die alljährlichen Einschätzungen irgendwelcher Dozenten an Mode-Hochschulen vor Saisonbeginn.

Das mag daran liegen, dass mittlerweile gleich mehrere (oft bunte) Sponsorenlogos mit untergebracht werden müssen. An den (manchmal schrillen) Vereinsfarben, die nun einmal maßgeblich sind für das Design – zumindest für das der Heim-Trikots. Oder einfach generell an zu mutigen Optiken, die die Sportartikel-Firmen da so in die Produktion geben.

‚Wie Goldfische‘ sollen sich etwa die Niederländer 1988 gefühlt haben, als die orange-goldfarben geschuppten Jerseys vorgestellt wurden. Vier Wochen später – die Niederlande waren im Goldfisch-Look gerade sensationell Europameister geworden – waren die Dinger plötzlich legendär.  Oder nehmen wir die Deutschen: Dass die Mannschaft von Trainer Joachim Löw 2014 in weißen (und nicht wie seit Jahrzehnten schwarzen) Hosen auflief, sorgte bei Hardcore-Trikot-Fans für einen Aufschrei. Ein 7:1 gegen Brasilien im Halb- und ein 1:0 gegen Argentinien im Finale später waren sich alle einig: Doch nicht so schlecht, die Teile. Anders herum verhielt es sich vier Jahre später. Da nämlich hat der DFB gemeinsam mit dem Ausrüster ein ‚Retro-Trikot‘ entworfen. Schlicht, schick – aber erfolglos. Deutschland schied in der Vorrunde aus, an die ach so tollen Trikots mochte sich plötzlich keiner erinnern. 

Macht aber auch nichts – denn zum nächsten Turnier wurde längst ein neues Trikot entworfen. Das ist ja das Verrückte, und hier sei vielleicht der Bogen zum Anfang dieses Textes gespannt, als es um Borussias gutes, altes Trikot mit der ‚Erdgas‘-Reklame ging: In den Siebzigern gab es alle paar Jahre mal ein neues Trikot, mittlerweile in jeder Saison bis zu drei (!) neue – eins für Heimspiele, eins für Auswärtsspiele und ein ‚Event-Trikot‘, was im besten Fall ein Europapokaltrikot ist (wie bei Borussia) oder im schlimmsten Fall mangels Europapokal ein Trikot für die Karnevalstage (siehe 1. FC Köln).

Bald ist Saisonende, dann lohnt sich der Blick in die ‚Sale‘-Abteilungen der Vereine wieder ganz besonders: Denn dann müssen die übrig gebliebenen Trikots der alten Spielzeit raus. Möglichst schnell, und dann auch durchaus günstiger. Und wer weiß, vielleicht entwickelt sich das aktuelle Borussia Mönchengladbach-Trikot ja noch rückblickend zu einem echten Kult-Trikot. Mutig ist das Design ja schon mal. Erfolgreichen Fußball gibt es bislang auch zu bestaunen. Und genügend Spieler, die es wert sind, auf das Trikot geflockt zu werden. Plea! Neuhaus! Stindl! Ginter! Der Stoff, in dem die Helden sind.

mle