Im kommenden Jahr feiert das Musical ‚Zurück in die Zukunft‘ in Hamburg Premiere. Ein Musical also über einen 40 Jahre alten Kult-Film. Das passt in den allgemeinen Trend, Vergangenes noch einmal aufleben zu lassen. Damals war alles besser? Das sicher nicht, aber vielleicht sind es die unsicheren Zeiten, in denen wir leben, die dafür sorgen, dass wir gerne in die Vergangenheit entfliehen – und sei es nur für einen Abend. Retro-Trend nennt man das, und der Begriff Retro stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚rückwärts‘ oder ‚zurück‘ – was dann ja auch in doppelter Hinsicht zum eingangs angesprochenen Musical passt.
Wohl jeden ereilt dann und wann die Sehnsucht nach der ‚guten, alten Zeit‘. Früher, so hört man sich dann sagen, war alles besser – was natürlich nicht stimmt. Aber das menschliche Gehirn ist (zum Glück) so gepolt, dass es sich an positive Dinge in der Vergangenheit meist leichter erinnert als an negative.
Vielleicht war früher nicht alles besser, aber zumindest in der Erinnerung einfacher: Keine Eigentumswohnung, die bis zur Rente abbezahlt werden muss. Kein Job, der einen auch am Wochenende beschäftigt. Keine Kinder, die zwar das Schönste auf der Welt sind, aber auch viel Kraft und Zeit kosten.
Die Erinnerung an früher weckt das Gefühl von Freiheit und Jugend, an eine Zeit, in der alles möglich war. An diese Zeiten denken wir gern zurück. Auch, weil Vergangenes uns bekannt ist und im Gegensatz zur ungewissen Zukunft Sicherheit vermittelt. Genau deswegen erfreuen sich Retro-Produkte sehr großer Beliebtheit. Während Vintage-Produkte echte Relikte aus vergangenen Zeiten sind, sind Retro-Produkte stilistische Rückblicke auf vergangene Epochen. Sie wecken positive Erinnerungen an die gute, alte Zeit – und sind erfolgreiche Produkte einer riesigen Industrie.
Mode
Jeder ’neue‘ Modetrend bezieht sich in gewissem Maße auf einen bekannten Kleidungsstil. Bomberjacke? Schlaghose? Chucks? Rollkragen? Bauchfrei-Tops? Hat es alles schon mehrfach gegeben, kommt und geht – und wird dann wieder neu aus der Versenkung geholt. Formen, Farben und Muster stehen für bestimmte Epochen. Manches hat es längst vom Retro-Artikel zum modischen Dauerbrenner geschafft, wie die Nike-Air-Schuhe, die 501er-Jeans oder die Adidas-Trainingsjacke mit den drei Streifen. Und egal, ob cooler Eighties-Look oder Flower-Power-Kleid im Look der Sechzigerjahre: Retro-Mode ist immer auch ein Statement gegen Fast Fashion und langweilige Jedermann-Mode.
Fotografie
Es ist schwer vorstellbar, dass jemand freiwillig auf hochauflösende Bildqualität bei Fotokameras verzichtet, wie sie heutige Spiegelreflexkameras und selbst Smartphones ermöglichen. Es gibt aber topmoderne Kameras mit eher klobiger Retro-Fassade – denn eine Fotokamera ist als modisches Accessoire im Urlaub ja immer auch ein Statement. Im Zeitalter der unbegrenzten Daten-Ressourcen und zehntausenden Fotos in Clouds und Laufwerken wünscht sich aber manch einer ein bisschen mehr Übersicht – und auch durchaus Mut zum unperfekten Schnappschuss. Deswegen fand sogar die technisch eigentlich längst nicht mehr auf Stand befindliche Polaroid-Sofortbild-Kamera mit einer Neuauflage viele Abnehmer. Wer sich so etwas nicht leisten möchte, der hat bestimmt schon einmal den Retro-Filter an seiner Smartphone-Kamera betätigt. Der legt nämlich buchstäblich den Schleier der Vergangenheit über die Fotos von heute, mit ‚echtem‘ Staub und Kratzern.
Musik
Rund 15 Euro kostet ein Monatsabo beim größten Musik-Streamingdienst. Das ist verglichen mit den Beträgen, die man früher in die Schallplatten- und CD-Läden gebracht hat, um sich die beste Musik zu kaufen, nichts. Für nur 15 Euro erhält man unbegrenzt viel Musik. Das ist auf der einen Seite ein akustisches Schlaraffenland – auf der anderen Seite sorgt es aber auch dafür, dass Musik beliebig konsumierbar ist. Immer seltener hört man ein Stück bis zum Ende, von einem kompletten Album ganz zu schweigen. Um der eigenen Musik wieder einen größeren Wert zu geben, pressen immer mehr Künstler wieder ihre Werke auf Vinyl und verkaufen die Schallplatten vor allem auf Konzerten. Der Sound von Vinylplatten ist besonderer als der bei digitalen Streams – und außerdem ist es ein Statement als Fan, sich die Musik, obwohl sie nahezu frei verfügbar im Netz zu bekommen wäre, zu kaufen. Noch dazu ist es wesentlich emotionaler, einen Plattenladen zu besuchen und eine Schallplatte zu kaufen als sich nur durch eine App zu scrollen.
Autos
Im Prinzip war schon das erste Auto retro – weil es eine optische Nachempfindung einer Kutsche war. Bis heute gibt es bei Neuwagen immer wieder Referenzen auf Erfolgsmodelle der Vergangenheit. Die beiden markantesten Beispiele sind sicherlich der VW Beetle, der dem VW Käfer nachempfunden wurde, und der neue Fiat 500, der seinem Vorgänger ebenfalls in seinem meisterhaften Design ähnelt.
Filme
Liegt es daran, dass den Filmemachern nichts Neues mehr einfällt? Oder eher daran, dass wir uns auch im Kinositz am liebsten zurücklehnen und in alte Zeiten versetzen lassen möchten? Serien wie ‚Baywatch‘, ‚Gilmore Girls‘ oder ‚Full House‘ werden zwar neu verfilmt, allerdings in der Optik der guten, alten Zeit – mit den Autos von damals, der Musik und der Kleidung. Mehr Retro geht nicht.
Sven Platen