Verwunschene Schlösser und romantische Villen, luxuriöse Hotels und sogar eine lange touristische Route quer durch drei europäische Länder – die Fußabdrücke sind unübersehbar, die große Dichter und Schriftsteller in den vergangenen drei Jahrhunderten von ihren Reisen hinterlassen haben. Zum Tag des Buches am 23. April folgt das Urbano Magazin diesen Spuren. Denn bis in die heutige Wirklichkeit bleibt es spannend und anregend, den großen Geistern und ihrer Art der Weltbetrachtung zu folgen.

Das Land, wo die Zitronen blüh’n

Natürlich geht es nicht ohne Johann Wolfgang von Goethe. Deutschlands Dichterfürst hat auch als Vorreiter des modernen Tourismus die mutmaßlich meisten Spuren hinterlassen. Die Geschichte begann mit einer Art Burnout. Er fühlte sich leer und ausgebrannt nach Jahren bürokratischer Arbeit als Minister bei Hofe in Weimar. Früh um drei Uhr am 3. September 1786 war der 37 Jahre junge Goethe dann mit einer Kutsche zu seiner längsten Reise aufgebrochen – ohne sich von irgendwem zu verabschieden. Und erst am 18. Juni 1788 kehrte er zurück.

Dazwischen sah er München, den Brennerpass, Trient, Verona, Vicenza, Padua, Venedig, Bologna und ganz lange Rom. Unterwegs schrieb er Gedichte und Erzählungen, lernte erstmals, sich leidenschaftlich zu verlieben, malte und zeichnete ununterbrochen – und er lebte in Rom unerkannt unter falschem Namen in der Rolle eines Malers. Über tausend Zeichnungen nahm er mit zurück nach Thüringen. Viel später, 1829, veröffentlichte er das Tagebuch seiner Reise – und seither ist Goethes Italienreise Legende.

Aktuell ist sie erneut Gegenstand eines herausragenden Projektes. Die ‚Europäische Goethe-Straße‘ soll die Stationen seiner Reise unsterblich machen. Überall werden die Spuren der Goethe-Zeit zusammengetragen – am Gardasee, wo er verdächtigt wurde, österreichischer Spion zu sein, in Vicenza, wo ihn Palladios Villa ‚La Rotonda‘ beeindruckte, natürlich in Rom und an allen anderen Schauplätzen. Der Goethe-Tourismus geht also mit neuem Schwung weiter.

Tessiner Natur

Unterdessen lebt das Geschäft mit den Dichterreisen auch dank anderer großer Namen. Hermann Hesse beispielsweise sind im Tessiner Montagnola ein eigenes, sehr erfolgreiches Museum und ein eigener Wanderweg gewidmet. Dort bei Lugano hatte der Schweizer Literaturnobelpreisträger ab 1919 die letzten 43 Jahre seines Lebens verbracht. Bis heute finden in Montagnola an jedem Sonntag ab 17 Uhr zweisprachige Lesungen aus Hesses Werk statt, es gibt Vorträge, Konferenzen, Diskussionen, Ausstellungen und Konzerte, um das vielfältige Werk dieses Mannes lebendig zu erhalten.

Hiddensees Zauber

Rügens kleine Schwester, die knapp 19 Quadratkilometer kleine Ostsee-Insel Hiddensee, verdankt einen Teil ihres guten Rufes der Anhänglichkeit eines anderen Literaturnobelpreisträgers: Gerhart Hauptmann, der auch als Maler und Schauspieler gearbeitet hat. Fast 50 Jahre lang verbrachte er seine Sommerferien dort. Und von 1926 bis 1943 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt komplett auf die Insel. Er schrieb: „Hiddensee hat sich mir, neu und jung, im hohen Alter geschenkt, und sein Zauber verjüngt mich jedes Mal, wenn meine Sohle seinen geliebten Boden betritt.“ Heute ist Hauptmanns Haus ein viel besuchtes Museum, in dem auch Lesungen und Konzerte abgehalten werden.

Goldene Gässchen und mehr

Tschechiens Metropole Prag schmückt sich ebenfalls gern mit einem großen Literaten. Der Literarische Spaziergang führt ‚Auf Kafkas Spuren‘: Zu Fuß kann man dort dem berühmten Autor Franz Kafka folgen. Zwei kompakte Stunden lang sieht man dort das Geburtshaus, die Schulen, die Universität, das Geschäft der Eltern, Kaffeehäuser, Arbeitsstätten, das Theater und das Kabarett. Wer dann noch das Kafka Museum und Kafkas Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof besucht, fühlt sich dem Autor so fulminanter Werke wie ‚Das Schloss‘, ‚Der Prozess‘ oder ‚Die Verwandlung‘ ganz nahe.

Detektive und malerische Küsten

Denken wir an England, scheinen heute sofort Bilder aus dem ‚Rosamunde-Pilcher-Land‘ Cornwall auf – weite Strände, steile Küsten, verwunschene Burgen und Herrenhäuser als Nachklang von Fernseh-Erlebnissen. Längst werben Reiseveranstalter für Touren mit dem Namen der kürzlich verstorbenen Autorin. Aber noch viel tiefer wirkt der Name Agatha Christie. Die Erfinderin der etwas skurrilen Detektivfiguren Miss Marple und Hercule Poirot hat ihre Sommer seit 1938 auf dem Landsitz Greenway am Fluss Dart in der Grafschaft Devon verbracht. Der Ort ist Schauplatz etlicher ihrer Kriminalromane – und schon deshalb heute Ziel zahlreicher Touristen. Greenway gehört inzwischen dem britischen Denkmalschutzfonds. Und der bietet dort sogar Übernachtungen in historischer Christie-Umgebung an.

Reisen auf der Spur der Literaten – das ist und bleibt eben ein besonderes Erlebnis.

 

Peter Lamprecht