Wer sich nicht getraut hat, seinem Schwarm seine Liebe zu gestehen, der nahm im Zeitalter der MusikKassetten Mixtapes auf. Eine Liebeserklärung

‚Lauter Instrumente ergeben besondere Emotionen.‘ Ich gebe zu, die dick mit Edding auf die Hülle geschriebene Botschaft war vielleicht ein bisschen zu bemüht und ein bisschen zu kryptisch. Vielleicht wollte ich zu viel. Tagelang und nächtelang habe ich vor der heimischen HiFi-Anlage gesessen, immer wieder Start und Aufnahme gleichzeitig gedrückt und wenige Minuten später wieder Stop. Habe vor- und zurückgespult und mir Gedanken gemacht, wie ich diese Leerkassette mit Leben fülle. 45 Minuten auf der Vorderseite und 45 Minuten auf der Rückseite galt es zu bespielen. Mit meinen Lieblingsliedern, die hoffentlich ihren Geschmack trafen und mit der ein oder anderen versteckten Botschaft an sie.

Sie, das war Verena, das tollste Mädchen aus der Klasse, sie war meine erste große Liebe oder das, was ich damals darunter verstanden habe. Ihr das zu sagen? Unmöglich! Ihr das zu schreiben? Nie und nimmer! Ich entschied mich, durch eine individuell zusammengestellte Musik-Kassette auf mich aufmerksam zu machen. Mixtapes waren Anfang der Neunzigerjahre total angesagt. Stellt man heute in wenigen Minuten beim Streamingdienst eine Playlist zusammen, so war das Mixtape knallharte Arbeit und damit Ausdruck maximaler Wertschätzung.

Ein paar Lieder hatte man auf LP oder sogar auf CD, den Rest schnitt man sich im Radio mit. In manche Lieder quatschte also ein Moderator rein, bei anderen hörte man die Kratzer der Langspielplatte. Darum ging es aber nicht. Es ging um die Geste, es ging vor allem darum, die Musik sagen zu lassen, was man sich selbst nicht traute.

In der Hoffnung, dass neben Liedern, die die eigene Coolness dokumentieren (Green Day, Nirvana) auch die ein oder andere Schnulze dabei ist, die die eben angesprochene Botschaft transportiert. Es musste ja nicht direkt ‚I will always love you‘ von Whitney Houston sein, das wäre zu auffällig und ein bisschen zu dick aufgetragen. Aber im Idealfall gab es ja eine gemeinsame Erinnerung. Im Falle Verena war das ‚Everything I do, I do it for you‘ von Bryan Adams – der Titelsong des Films Robin Hood (wir waren mit der ganzen Klasse im Kino, ich hatte beinahe zufällig neben Verena gesessen…).

Das letzte Lied, am Ende von Seite 2. Dazwischen viel Charts, vieles, wofür man sich heute schämen würde. Oder auch ganz gute Sachen. Irgendwas zwischen Roxette, Die Prinzen und den New Kids on the Block.

Nach der Schule hatte ich ihr die Kassette an der Bushaltestelle in die Hand gedrückt – als der Bus die Türen geöffnet hat und Verena gerade einsteigen wollte. Mit knallrotem Kopf bin ich auf mein Fahrrad gestiegen und nach Hause gefahren. Ich denke, dass Verena meine Arbeit zu schätzen wusste. Aus uns beiden ist aber trotzdem leider nichts geworden – trotz versteckter Botschaften auf Band. Und nicht nur dort. Die eigentlich auffälligste Message stand mit Edding auf der Hülle: ‚Lauter Instrumente ergeben besondere Emotionen.‘ Die Anfangsbuchstaben ergeben: Liebe. Ich habe Musik sprechen lassen, Verena hat leider nicht zugehört.

Sven Platen