Rucksack an und los – es bedarf keiner großen Vorbereitung, um auf Wanderschaft zu gehen. Im ersten Versuch ging es immerhin 20 Kilometer in den Süden.

Die wichtigsten Antworten vorab: Nein, es hat sich keiner von uns beiden Blasen gelaufen. Ja, eine Wanderung über 20 Kilometer ist ohne Vorbereitung und untrainiert machbar. Und ja: So etwas machen wir garantiert noch einmal. Doch von Anfang an.

Inspiriert wurden wir von einem Journalisten des ‚Stern‘, der einfach mal raus wollte aus der tagtäglichen Tretmühle, der seinen Job mit Erlaubnis des Chefs für einige Monate ruhen ließ und einfach zu Fuß ans Meer wollte. Von Hamburg aus, und mit dem Meer war nicht die Nordsee gemeint. Nein, Uli Hauser lief einmal von Norden nach Süden durch Deutschland, nur bepackt mit einem Rucksack. Er übernachtete bei Bekannten, unter freiem Himmel oder in Pensionen und kam schließlich nach einigen Monaten in Italien an. „Geht doch“, lautet der Titel des Buches, das aus dieser faszinierenden Reise entstanden ist, und mein Kumpel Daniel und ich haben die Doppeldeutigkeit als Aufforderung an uns interpretiert: Wir gingen also los.

Okay, wir haben uns weder Nordsee noch Adria zum Ziel genommen, und den Arbeitgeber haben wir auch nicht informiert. Denn wir wollten samstagmorgens losgehen und schauen, wie weit wir an einem Tag kommen. Und abends wieder zu Hause sein. Ein Mikroabenteuer, aber für uns beide blutige Wander-Anfänger eben trotzdem ein Abenteuer.

Die vielleicht wichtigste Entscheidung vor unserer Wanderung: Wir hatten genug Respekt vor diesem Trip. Deshalb haben wir uns sportlich angezogen (in Ermangelung an Wanderschuhen: Laufschuhe, dazu Cargohose, Shirt, Kapuzenpulli, Regenjacke), und deshalb hatten wir auch eher leichte Kost an Bord: Müsliriegel, Obst, Wasser, Laugenstangen, etwas Weingummi und – auch wenn es vielleicht nicht zur perfekten Ernährung passt – je eine Thermoskanne Kaffee.

„ZO FOOSS NOH KÖLLE JONN“

Schnell waren wir uns in der Planung darüber einig geworden, dass der Weg das Ziel sein soll. Es muss gar nicht der traumhafte Wanderpfad durch den Nationalpark sein oder eine Tour immer am Flüsschen lang. Nein, wir wollten uns einfach treiben lassen, ausnahmsweise mal ohne Handy-Navi, ohne ausgeklügelte Wanderroute. Wir wollten eher wissen, wie weit wir an einem Stück kommen, was uns unterwegs passiert (oder auch nicht) und wie die Zeit so verstreicht. Um Punkt 6 Uhr morgens haben wir uns auf dem Parkplatz des BORUSSIA-PARK getroffen und sind gut gelaunt losmarschiert. Wohin eigentlich? „In den Süden“, hat Daniel gesagt, so wie Uli Hauser, der uns ja erst zu unserer Tour inspiriert hat. Wir, beide Borussia-Fans, schauen uns an: Südlich von Mönchengladbach? Da liegt doch Köln. Ganz so weit werden wir es wohl nicht schaffen, haben aber das erste Lied des Soundtracks unseres Tages auf den Lippen: den Karnevals-Klassiker „Ich möcht‘ zo Fooss noh Kölle jonn“.

„LASS‘ UNS GEH’N!“

Zugegeben: Es dauert seine Zeit, bis sich eine Art Flow einstellt. Wir suchen ein gemeinsames Tempo, das uns nicht stresst, bei dem wir aber trotzdem vorankommen. Und: Wir sehnen uns bereits nach wenigen Kilometern nach der Natur. Denn das erste Stück geht die Gladbacher Straße in Richtung Rheindahlen entlang. Doch schon biegen wir links auf die Viehstraße in die Felder ab, und wir nehmen im Gehen einen ersten Schluck aus der Wasserflasche. Fünf Kilometer haben wir jetzt ungefähr absolviert. Das erfahren wir aber nicht über die Tracking-App unseres Smartphones, sondern erst am Ende unserer Tour, als wir unsere Telefone aus dem Rucksack holen – denn an diesem Tag wollten wir uns auf uns konzentrieren und nicht auf das Gebrummse und Gesummse unseres digitalen Dauer-Begleiters. Stattdessen hören wir die Vögel singen. Wie sangen es Revolverheld so schön in ihrem Hit „Lass‘ uns geh’n“? „Ich kann nicht mehr atmen, seh‘ kaum noch den Himmel. Die Hochhäuser haben meine Seele verbaut. Bin immer erreichbar und erreiche doch gar nichts …“

„WALKING ON SUNSHINE“

Wie schön es eigentlich bei uns vor der Haustüre ist, merken wir mal wieder, als wir durch das Naturschutzgebiet Niersbruch wandern. Östlich von Beckrath und westlich von Wickrathberg machen wir in den Feldern eine Frühstückspause. Rund zehn Kilometer sind wir nun unterwegs, gut zwei Stunden Zeit sind rum. Zwischenfazit? So richtig schnell kommen wir nicht voran, aber das wussten wir vorher. Dafür stecken wir unsere Jacken in die Rucksäcke – wir wandern bei Kaiserwetter!

„AB IN DEN SÜDEN“

Wir sind irgendwo im Nirgendwo. Ein paar Kilometer westlich liegt die Stadt Erkelenz, ein paar Kilometer östlich das riesige Braunkohle-Tagebau-Loch Garzweiler. Und nördlich von uns schlängelt sich die A46 vorbei. Überall um uns herum also Bewegung und hektische Betriebsamkeit. Wir aber sind mit in unserem eigenen Tempo unterwegs. Schrittgeschwindigkeit. Weitaus langsamer als die immer mehr werdenden Fahrradfahrer und langsamer auch als der freundliche Treckerfahrer, der anbietet, uns bis ins nächste Dorf mitzunehmen. Vielleicht ein wenig mitleidig, denn möglicherweise laufe ich, Knie-geschädigt, nach 15 Kilometern etwas unrund. Bis nach Italien hätten wir es auf keinen Fall geschafft, aber vielleicht heute Abend zur Belohnung zum Italiener? Rund 300 Kalorien soll man beim Wandern ja pro Stunde verbrennen. Und gut drei Stunden sind wir ja nun schon unterwegs. Das ist eine gute Pizza, das haben wir unterwegs ausgerechnet. Und nun, das ist Motivation genug, erlaufen wir uns noch den Nachtisch.

Katzem. Wir geben zu, in diesem kleinen Örtchen mit kaum mehr als tausend Einwohnern sind wir noch nie gewesen. Mein Knie pocht nun lauter, Daniel klagt über langsam einsetzende Schmerzen an der Ferse. Das Wasser, das wir unterwegs an einem Kran schon mal aufgefüllt haben, ist leer, der Proviant aufgebraucht. Rund 20 Kilometer haben wir an einem halben Tag absolviert. Vollkommen ungeübt. Und sind entsprechend stolz, als wir das Handy auspacken und zu Hause anrufen: Bitte einmal in Katzem abholen kommen. Katzem? Irgendwo im Nirgendwo. Ganz weit tief im Süden.