… mach ich von Anfang an alles anders. Nie wieder früh aufstehen. Nie wieder an mindestens fünf Tagen in der Woche von morgens bis abends im Büro oder auf der Baustelle die Arbeit verrichten. Nie wieder der Prellbock einer erwartungsvollen und ungeduldigen Dienstleistungsgesellschaft sein.

Beim nächsten Mal werde ich Influencer, Blogger, Vlogger oder wie auch immer sie heißen. Die Ausrüstung dafür hab ich ja schon: Ein Handy mit Kamera – und ab geht die Post. Meines Erachtens dreht sich ja sowieso alles nur noch um Social Media, warum sollte ich dann noch konventionell bzw. ‚analog‘ arbeiten? Eine flotte Recherche ergab, dass engagierte Influencer im Monat an die sieben bis 12 Tausend Euro verdienen und in der Zeit vor Weihnachten auch gut und gerne das Dreifache davon. Also: warum schwierig, wenn‘s auch einfach geht?!

Eigentlich war ich ja schon immer ein Blogger, jedoch ohne es zu wissen. Wenn ich im Urlaub ein tolles Restaurant, ein cooles Hotel oder eine traumhafte Bucht für uns auf einer Kykladen-Insel (neu) entdeckt und dies daheim meinen Kindern, Freunden und Bekannten mitgeteilt habe, war das ja schon so was wie bloggen – nur halt ‚für umme‘ (oder wie man bei uns sagen würde: für lau). Das waren dann eben nur zehn bis 20 Zuhörer – auf Social Media ‚Follower‘ genannt – und landläufig unter dem Begriff ‚Geheimtipp‘ oder einfach als ‚Empfehlung‘ begrifflich definiert. Der oder die Influencer:in macht ja nix anderes, außer sich dabei mit in vom Geldgeber gestellten Klamotten zu filmen und juchzend vor Freude so zu tun, als wäre er/ sie der/die Schönste im ganzen Land.

Bislang waren es meist die lustigen Asiaten, die jeden Sonnenuntergang im Kollektiv zugestellt haben, um mit verlängerten Handystängchen zu dokumentieren, wo sie gerade die Ruhe stören. Dabei führen sie sich aber auf, als hätten sie das alleinige Urheberrecht auf das Motiv bereits im Flugticketpreis mitbezahlt. Dies gilt freilich nicht nur für Sonnenauf- und -untergänge, sondern für jegliche mit Pixeln dokumentierbare Motive, Speisekarten oder bereits aufgetischte Mahlzeiten inbegriffen.

Mir fielen im Urlaub mehrfach meist jugendliche Mädchen auf, die mit entstellten Mundpartien vor schräg gehaltenem i-Phone im Selfie-Modus Pirouetten auf der Stelle drehten, um dies bei Instagram, Twitter oder Tik-Tok hochzuladen. Schnell noch ‘nen Filter drübergeschickt, bisken Ed Sheeran druntergemischt, zwei Zwinker- Herzaugen-Emojis dazu drappiert und ab damit. Und so einfach geht reich sein …

Es waren schon immer schlimme Zeiten, wenn einer/eine was vormacht und alle anderen laufen hinterher. Wäre David Beckham in seiner erfolgreichen Fußballer- Karriere nicht so exzessiv tätowiert gewesen, würden uns heute wahrscheinlich viele grausige Anblicke von buntarmigen Thekenkickern erspart bleiben. Stopft sich irgendein Mädel mit vielen Followern ihr Hemd vorne in die Jeans, laufen ‘ne Woche später die übelsten Gestalten im gleichen Look durch die Stadt und du meinst, es wär schon wieder Halloween.

Diesen Rudel- oder Nachmacher-Effekt konnte ich neulich beim Rückflug aus dem Urlaub recht deutlich erkennen. In unserem Abflugbereich fielen mir mehrere ziemlich gleichartig gekleidete Mädchen auf. Es handelte sich nicht um einen Junggesellinnen-Abschied und auch keine Kegeltour. Die einzelreisenden Damen trugen alle mehr oder weniger ein ähnliches Outfit: schwarze Schnürboots (Dr. Martens) mit bunten Schnürsenkeln, eine eng sitzende, schwarz glänzende Leggins mit Längsstreifen und ein bis zu vier Kleidergrößen zu großes Sweatshirt eines namhaften Sportartikel-Herstellers mit grellen, signalfarbenen Applikationen. Vielleicht war‘s ja auch eine Sekte …

Ich hoffe nur, dass sich dieser Hype irgendwann wieder legt und die Menschen sich wieder auf ihren eigenen Geschmack oder einen eigenen Stil besinnen.

Was nutzt mir der 1000-fach gelikte Beitrag über einen Street-Art-Falafel-Laden im Hipster-Viertel von Kreuzberg, wenn ich doch gar nicht weiß, was die Typen mit ihren weißen Rennrädern und zu kurzen Hosenbeinen sonst so essen.

Ich steh auf das, was meine geliebte Frau mittags kocht – und das soll auch so bleiben. Sollen die Influencer doch essen, was sie wollen …

Ihr Gregor Kelzenberg