Mehr Sport? Weniger Süßes? Welche Vorsätze haben Sie – und werden sie nach wenigen Tagen bereits brechen?

Es ist nun exakt ein Jahr her, als ich beim Discounter ein Han- tel-Set auf das Kassenband gelegt habe. Die Kassiererin sah das schon von Weitem. Und als sie Trainingsgeräte über den Scanner zog, sagte sie mit leicht mitleidigem Lächeln: „Gute Vorsätze,was?UmtauschenbeiNichtbenutzungabernurmit Kassenbon.“

Vermutlich wusste die gute Dame, wovon sie sprach. Ihr graues Haar, aber auch ihr Blick drückten reichlich Lebenserfahrung aus. Wie immer rund um Neujahr waren die Supermarkt-Prospekte voll mit Sportartikeln. Gymnastikbälle, Yogamatten, Fahrrad-Ergome- ter und Black Rolls. Ich fand das immer ein wenig albern, und doch habe ich zum Jahreswechsel 2021/22 zugeschlagen. Es war mehr so ein Reflex und ein durch den Kauf spontan gefasster Neujahrs- Vorsatz: mehr Sport machen.

Ein heutiger Blick auf die Hanteln verrät, was daraus geworden ist: Die eine fungiert immerhin als Türstopper im Kellerraum (der eigentlich in dem Zug zum Fitnesskeller umgestaltet werden sollte), die andere erfüllt ihre Aufgabe als Staubmagnet vorzüglich.

Es ist so eine Sache mit den Vorsätzen zum neuen Jahr. Umfra- gen haben ergeben, dass 15 Prozent der gefassten Vorsätze nicht länger als eine Woche halten, weitere zwölf Prozent nach zwei Wochen wieder vergessen sind. Eine Studie soll ergeben haben, dass insgesamt rund 92 Prozent aller Vorsätze scheitern. Also Pus- tekuchen mit weniger Süßem und weniger Medienkonsum. Aber warum scheitern wir mit dem Verfassen guter Vorsätze, wenn wir sie doch eigentlich erfüllen wollen?

Vielleicht ist die Eingangsgeschichte ein gutes Beispiel. Ein guter Vorsatz sollte nicht spontan, also aus einer Laune heraus gefasst werden – der Wunsch muss von innen herauskommen. Dann nehmen sich die Menschen oft zu viel vor fürs neue Jahr – und häufig hilft auch der willkürlich gewählte Termin 1. Januar, von nun an einige Dinge besser zu machen, nicht wirklich. Denn das Joggen sollte man sich vielleicht eher dann vornehmen, wenn das Wetter mitspielt und dazu einlädt. Weniger essen sollte man nicht, wenn es draußen um 17 Uhr dunkel und der gemütliche Abend lang ist.

Die Persönlichkeitstrainerin Melanie Vogel hat die BIRD-Methode entwi- ckelt, mit der sich Neujahrsvorsätze besser umsetzen lassen. BIRD steht für Bauchgefühl wecken, Individualität akzeptieren, Richtung festlegen und, na klar – Durchstarten. Doch auch das ist Theo- rie, genau wie ein anderer Hinweis, große Ziele in kleinere Etappen zu zerlegen. Alles schon probiert, mit allem schon gescheitert.

“ Wenn sich nichts ändert, wird es also auch dieses Mal heißen: Mein Ziel für 2023 ist es, die Ziele von 2022 zu erreichen, die ich mir 2021 vorgenommen habe, weil ich 2020 geplant hatte, das zu erledigen, was ich 2019 erreichen wollte, weil ich 2018 nicht geschafft habe, die Ziele von 2017 umzusetzen.“

Kürzlich habe ich mir die beiden Hanteln dann doch noch mal geschnappt. Denn warum sollte man nicht Mitte Dezember damit anfangen dürfen, gute Vorsätze zu erfüllen? Beim Training ist mir dann eingefallen, was ich mir wirklich für das neue Jahr vornehmen könnte.

Weil die Welt sich geändert hat, weil wir dringend etwas tun müssen – und ich bei mir selbst anfangen möchte. In Zeiten, in denen sich die Dinge gesellschaftlich verhärtet haben, will ich offen auf andere Menschen zugehen, auch auf die, die eine andere Meinung haben als ich und diese zumindest hören. Ich will meine Freundschaften pflegen und meinen kommenden Geburtstag nach den beiden schwierigen Jahren mit vielen netten Menschen feiern, groß, und so, als ob es ein runder wäre. Das ist ein guter Vorsatz, von dem viele profitieren werden – auch wenn ich davon sicher nicht unbedingt abnehmen werde.

Sven Platen