Kulturhauptstädte locken mit altem Glanz und neuem Elan

Rom, Venedig, Florenz – bei diesen Städtenamen schlagen die Herzen der Italien-Verehrer weltweit höher. In diesen Städten wird große Geschichte und prächtige Hochkultur verortet. Andere Metropolen auf dem südlichen Stiefel dagegen hatten bislang wenig Chancen in den Augen der Kulturbeflissenen. Das soll an- ders werden. Deshalb vergibt die drittgrößte Wirtschaftsnation (und eine der allergrößten Kulturnationen) der EU seit 2014 alljähr- lich den nationalen Titel einer ‚KULTURHAUPTSTADT ITALIENS‘.

Erstmals für 2023 wurde nun eine große Region mit zwei Provin- zialhauptstädten und rund einer Million Einwohnern zur ‚Kultur- hauptstadt‘ ausgerufen. BERGAMO und BRESCIA samt ihrer Nachbarschaft sind die Glücklichen.

Rom glänzt seit über 2000 Jahren mit seinem Forum Romanum. Aber dass in der Oberstadt von Bergamo ein historisches Bau- werk gleichen Namens den Rang eines Weltkulturerbes erreicht hat, das weiß nördlich der Alpen kaum jemand. Hier erinnert der Name Bergamo gerade noch an das seit 1996 ausgetragene Rad- sportevent der Lombardei-Rundfahrt. Das nahe Brescia wird mit dem historischen Motorsportereignis der Mille Miglia (1927-1957) verbunden.

Mehr als 100 Großprojekte mit mehr als 500 Künstlerinnen und Künstlern und über 500 weitere Initiativen sollen nach dem fei- erlichen Start am 21. und 22. Januar Besucherströme aus aller Welt anziehen. Zugleich sollen kulturelle, ökonomische und regionalpolitische Anstöße dabei helfen, neue regionale Gemeinsam- keiten mit Magnetkraft zu entwickeln. Ziel ist entspre- chend dem gemeinsamen Motto ‚die aufgeklärte Stadt‘.

Dabei geht es um Projekte in Bereichen wie Erziehung und Kultur, ebenso um eine Neuordnung des stadtübergreifenden Nahver- kehrs und der Entwicklung gemeinschaftlicher Energieprojekte. Dafür stehen der neue ‚Kulturradweg‘ zwischen beiden Städten ebenso wie das ‚Festival of Lights‘, bei dem Brescia vom 10. bis 19. und Bergamo vom 17. bis 26. Februar illuminiert werden – natür- lich mit Hilfe erneuerbarer Energie und begleitet von Musik-, Theater- und Kunstevents.

Zu den Höhepunkten zählt die offensive Rückbesinnung auf einen der fünf weltweit am meisten gespielten Komponisten. Gaetano Donizetti ist sein Name. In seiner Heimatstadt Bergamo widmen sich die Musikstudenten am Donizetti-Konservatorium mit einem Ganzjahresprogramm bis zum 17. Dezember seinen großen Werken – und sie präsentieren zugleich das breite Spek- trum internationaler Klassiker von Händel und Scarlatti, Brahms bis Strawinsky oder Gershwin und Chopin. Und am 17. Juni erhält Donizetti seine eigene ‚Donizetti-Nacht‘ in Bergamo.

Die bildende Kunst der großen alten Meister ist zweiter Schwer- punkt des Festivalprogramms unter dem gemeinsamen Titel ‚Meister der Malerei in Brescia und Bergamo‘. So präsentiert Bergamo vom 26. Januar bis zum 4. Juni 40 Werke von ‚Cecco de Caravag- gio‘, einem der herausragenden Schüler des großen Caravag- gio. Der Schüler wurde unter dem Namen Franco Bonieri in Bergamo geboren.

Brescia ergänzt das Thema vom 21. Januar bis 11. Juni mit mehr als 80 Meisterwerken der Renais- sance und des Barock.

Einen besonderen Auftritt präsentiert die Jazzmusik in der ‚Großen Jazznacht‘, die am 24. Februar startet und dann Nonstop am 25. Februar sieben Stunden in 16 Konzerten mit 50 Künstlern an unterschiedlichen Orten der Kulturmetropolen stattfindet.

Unter dem Titel ‚Ich kann nicht ohne Dich leben‘ ver- birgt sich ein gemeinsames Programm aus Revue- und Ausstellungsangeboten, das vom 13. März bis zum 20. Dezember Themen aus der Wissenschaft populär auffächert – ein Aufklärungsprogramm und Mutmacher für die nachfolgenden Genera- tionen ebenso wie das Programm ‚Che Spectaculo 2023!‘. Damit wollen Akteure der regiona- len Kultur aus Theatern und Museen die ’neuen Genera- tionen‘ im Alter ab sechs Jahren gewinnen.

Und weil in Brescia wie in Bergamo die nahen Alpen immer mit dabei sind, darf auch eine Ausstellung mit außer- gewöhnlichen Fotografien aus den Berglandschaften der Erde nicht fehlen. ‚Lichter der Gebirge‘ ist der Titel im Museo di Santa Giulia. Dort werden atemberau- bende Werke dreier Fotokünstler gezeigt: Martin Champi aus Peru ist der erste indigene Berg- fotograf, der in den Anden gewirkt hat.

Vittorio Sella (Italien) und Axel Hütte (Deutsch- land) sind die beiden weiteren Protagonisten. Ihre Werke sind vom 21. März bis zum 23. Juli zu bewundern.

Kultur sei „ein wesentlicher Faktor zur Förderung des Tourismus“, sagt Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori – aber ebenso „entscheidend für die Verbindung der Leben unserer Gemein- den.“ Und sein Amtskollege Emilio DelBono aus Brescia meint zu den Auswirkungen des Kul- turhauptstadt-Programms: „Wir erhalten und erweitern das Kulturerbe, ziehen Touristen an und schaffen neue Möglichkeiten für Entwick- lung und Ausbildung.“

Genau das ist ihnen zu wünschen – Italiens Kulturhauptstädten 2023. Übrigens: Der Nachfolger für 2024 steht auch schon fest. Es ist die Pro- vinzhauptstadt Pesaro an der Adria.

Peter Lamprecht