Eine natürlich völlig subjektive Betrachtung der wunderbarsten aller Jahreszeiten.
Da ist er also endlich, der Herbst. Die wahrscheinlich lässigste und entspannteste, aber auch ehrlichste aller Jahreszeiten. Der Herbst, er kommt nicht so neugierig und aktiv rüber wie der Frühling. Nicht so aufdringlich und offensichtlich romantisch wie der Winter und auch nicht so penetrant gut gelaunt wie der Sommer (Ausnahme: das Jahr 2023). Der Herbst, er ist authentisch, launisch und wechselhaft. Und eine echte Wundertüte – manchmal sonnig und gülden und manchmal ruppig und unbequem. Er ist vermutlich die interessanteste, aber zugleich unterschätzteste aller Jahreszeiten.
Er stellt keine Ansprüche, wundert sich nicht, wieso wir abendelang vor dem Fernseher sitzen und Serien schauen. Denn es gibt keinen Freizeitstress – die Biergärten und Freibäder haben genauso geschlossen wie Open-Air-Kinos. Und einen wirklichen Sonnenuntergang am Rhein kann man ohnehin nur selten erleben. Er erlaubt es, dass wir nach dem asketischen Sommer (Stichwort Bikinifigur) wieder beim Essen hinlangen, mehr noch: Er fordert ein, dass wir uns für den sicherlich harten Winter Speck anfressen. Er ist freundlicher Gastgeber mehr oder weniger sinnvoller Brauchtums-Feste – von St. Martin über Oktoberfeste bis hin zu Halloween gibt es immer wieder was zu feiern. Er lädt zum Faulsein ein, denn abgesehen vom Laubfegen steht keine Gartenarbeit an – und für Sport ist das Wetter nun wirklich zu unbeständig. Und wenn man sich doch rausgequält hat, ist er die perfekte Jahreszeit für eine warme Dusche oder einen Besuch in der Sauna hinterher.
Natürlich, der Herbst hat ein Imageproblem. ‚Stille‘ Feiertage wie Allerheiligen, Totensonntag und Volkstrauertag tun da ihr übriges. Urlaubstage hat man kaum noch übrig und spart den Rest für Weihnachten und den Jahreswechsel, und schaut man aus dem Fenster, ist es dann doch eher grau oder es regnet Bindfäden. Aber man muss es mal so sehen: Wer im Dauerregen zur Arbeit fährt, der weiß: Zuhause verpasse ich sowieso nichts. Insofern fördert der Herbst sogar die Motivation, zur Arbeit zu gehen. Und überhaupt das nie enden wollende Klagen übers Wetter und darüber, ob der Frühling zu wechselhaft oder der Sommer zu regnerisch war: An den Herbst stellt niemand ernsthaft Ansprüche. Auch wettertechnisch ist und bleibt diese Jahreszeit eine Diva.
Schleckermäuler freuen sich, dass im Herbst Schokoladen-Klassiker wie Mon Chéri oder Ferrero Rocher wieder in die Regale kommen, dass der erste Glühwein wieder aufgekocht wird und dass Küchen-Klassiker wie die gute alte Erbsensuppe wieder schmecken. Die Lieblings-Fernsehsendung und die besten Podcasts kommen aus der Sommerpause zurück; und die besten Filme des Jahres kommen auf den Markt – denn wer will ernsthaft im Juli in einem dunklen Kinosaal sitzen? Im Herbst geht das ganz wunderbar, und das warme Popcorn und die Nachos schmecken doppelt so gut. Der Kaminofen zu Hause dient nicht mehr nur als Ablagefläche, sondern sorgt für eine wohlig-knisternde Wärme. Ich mag den Herbst. Was haben die Leute eigentlich immer mit diesem Sommer?
Sven Platen