Was das niederländische Leeuwarden und Maltas Hauptstadt Valletta als Kulturhauptstädte Europas 2018 zu bieten haben: Bislang
eher verborgene Reize im friesischen Hinterland, üppige und teils morbide Pracht im Zentrum des Mittelmeers – die beiden europäischen
Kulturhauptstädte 2018 repräsentieren auf spannende Weise die große Vielfalt europäischer Entwicklungen bis hin zur
Gegenwart. Wer Zeit genug hat, könnte beide sogar in einer einzigen Woche gemeinsam erobern – erst mit dem Auto aus NRW nach
Leeuwarden, in die Verwaltungshauptstadt der niederländischen Provinz Friesland. Dann weiter zum Flughafen Amsterdam oder
retour und dann zum Flieger ab Düsseldorf in Richtung Valletta auf Malta.
Leeuwarden?
Wem nicht sofort dämmert, wovon die Rede ist, der muss sich nicht grämen. Die Friesen-Metropole im Hinterland der niederländischen Nordseeküste gehört nicht zu den geläufigen Zielen üblicher Weekend-Touren ab NRW. Jedenfalls bisher nicht. Lassen Sie sich überraschen, das Kulturhauptstadt-
Programm ist ein zusätzlicher Anreiz, die stille Schöne Leeuwarden zu besuchen.
Bis zum frühen Mittelalter lag die Stadt noch an der See, dann verschlickte die ‚Middelzee‘ im 13. Jahrhundert. Heute liegen 40 Kilometer flaches grünes Land zwischen der Küste und Leeuwarden. Das alte Handelszentrum sorgte dennoch für historische Bauten, die bis heute von vergangener Größe zeugen: so die Jacobijnerkerk aus dem 13. Jahrhundert oder das stattliche Rathaus. Enge Gässchen und kleine Häuser verbreiten alt-holländische Kleinstadtatmosphäre.
Umso verblüffender wirkt da das Echo auf den Aufruf an die 108.000 Bürger der Stadt, beim Programm im Kulturhauptstadtjahr unter dem Motto ‚Die offene Gesellschaft‘ aktiv mitzuwirken. 800 Bürgerinitiativen meldeten sich, 30 von ihnen sind ausgewählt, am offiziellen Programm mitzuwirken.
Die weltweit vielleicht berühmteste Person der Leeuwardener Geschichte wird bis in den kommenden April mit einer aufwendigen Ausstellung im modernen Fries Museum gewürdigt. Es ist die sagenumwobene Tänzerin und Spionin Mata Hari, die gegen Ende des 1. Weltkriegs wegen Spionage fürs Deutsche Kaiserreich in Paris hingerichtet wurde.
Zu denen, die das Programm des Jahres bereichern, gehört auch Joop Mulder, ehemaliger Barbesitzer und heute Aktionskünstler von Format. Er ist erfüllt von der Idee, die Verbindung zwischen den Menschen und dem Wasser neu dar- und herzustellen. Seit 1982 veranstaltet er das Oerol-Festival alljährlich auf der Insel Terschelling, die nördlich von Leeuwarden im Wattenmeer liegt. Zu diesem Theater- und Musikfestival werden auch Anfang Juni 2018 wieder um die 130.000 Besucher erwartet.
Mulder hat der Kulturhauptstadt ein weiteres Projekt gewidmet unter dem Titel ‚Sense of Place‘: Dazu werden Holzplattformen ins Meer gebaut, liegende und grasbewachsene Frauenkörper in Deiche eingeformt, zudem sollen Deichdurchbrüche und künstlich eingelegte Seen helfen, das Meer wieder zu den Menschen zu bringen.
Bürgermitwirkung spielt eine Hauptrolle beim Projekt ‚De 8ste Dag‘ von Marten Winters. Hier sind die unterschiedlichsten Menschen eingeladen, ihre eigenen Geschichten entlang eines 3,5 Kilometer langen Kunstparcours quer durch die Stadt darzustellen. Auf der symbolisch wie eine Acht geformten Strecke sollen die Teilnehmer sich wie Dominosteine gegenseitig anstoßen.
Gelebte ‚iepen mienskip‘, offene Gesellschaft – diesen Traum zu realisieren, hat sich Leeuwarden für ’sein‘ Jahr auf die Fahnen geschrieben. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das bereits am Eröffnungswochenende. Essentiell wichtig für ein harmonisches Miteinander ist es, sich gegenseitig zuzuhören. Und so singen am Freitag, den 26. Januar die Kinder aus Friesland um 12 Uhr gemeinsam – ein feierlicher Startschuss, dem die Erwachsenen sicherlich gerne lauschen. Weiter geht es am gleichen Tag mit dem ‚Abend der 2018 Geschichten‘: Alle Museen und auch viele Privathäuser Frieslands öffnen dann ihre Pforten, um Besuchern zu erzählen, welche Geschichten sie denn gerne mit in die Zukunft nehmen möchten. Am 27. Januar schließlich kommt erste Volksfeststimmung auf, wenn sich alle Plätze und Straßen Leeuwardens in eine riesige Open-Air-Bühne für Theater, Tanz und musikalische Darbietungen verwandeln und so auf kunstvollste Weise miteinander verbunden sind.
Ein schöner Auftakt für das abwechslungsreiche Programm des Kulturhauptstadtjahres, in dem tatsächlich fast alle Facetten des Zusammenlebens mal multikulturell, mal künstlerisch und oft auch sehr ausgelassen beleuchtet werden. Spannend verspricht auch das Ereignis zu werden, das am 8. September in der Großen Halle des Kongresszentrums startet: Es ist die Premiere des
Musicals ‚De Stormruiter‘, das übersetzt auf seinen Ursprung hinweist: Theodor Storms Novelle ‚Der Schimmelreiter‘. Die Geschichte des Deichgrafen Hauke Haien und seines vergeblichen Kampfes gegen die Urgewalt des Meeres setzt Regisseur Jos Thie in Szene – und zwar als ‚Pferdemusical‘, in dem ein Schimmel und 100 friesische Pferde die eigentlichen Hauptrollen spielen.
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