Chlor, Sonnenmilch und Köpper vom Dreier – im Sommer geht es ins Freibad. Weil es erfrischt und weil es eine wunderbare Zeitreise ist.

Ungefähr ein Vierteljahrhundert muss es her sein, dass ich zuletzt am kleinen Kassenhäuschen unseres Freibades stand. Für ein paar Mark gab es hier die Zutrittsberechtigung zum Schwimmen – und gleichzeitig die Eintrittskarte zu einem wichtigen Teil meiner Kindheit und Jugend. Dann, mit fortschreitender Pubertät, wurde wildes Schwimmen im Badesee zum größeren Abenteuer. Das Freibad? Plötzlich uncool, nicht mehr zeitgemäß und was für Kleinkinder.

Zwei dieser Kleinkinder habe ich nun, im Sommer 2023 an der Hand. Das Freibad? Für sie das größtmögliche Abenteuer. Das gelbe Kassenhäuschen ist im Vergleich zu damals unverändert, genau wie der Blick auf die blaue Wellenrutsche und den Drei-Meter- Turm. Meine Kinder sind sofort aufgeregt, und ich ehrlich gesagt auch. Denn es hat sich nichts verändert. Die Kacheln der drei Schwimmbecken leuchtend türkis, die Liegewiese mit den vielen schönen Bäumen sattgrün und durch hunderte ausgebreitete Strandhandtücher und halbnackte Körper kunterbunt.

Es ist aber längst nicht nur die Optik, die einen Flashback in mir auslöst. Die Geräuschkulisse – eine Mischung aus fröhlich kreischenden Kindern, Lautsprecherdurchsagen und verschiedenster Musik aus dutzenden Bassboxen und der Geruchsmix aus Chlor, Sonnencreme und Schwimmbad-Pommes schaffen direkt eine unverwechselbare Atmosphäre – ein Fest für alle Sinne.

Wir suchen uns einen Platz im Schatten, mit Blick auf den Kiosk und das Kinderbecken gleichermaßen, von dort kann man das am besten machen, was beim Freibadbesuch mit am meisten Spaß macht: beobachten. Knutschende Teenager unterm Wasserfall. Stolze Eltern, die ihren Kindern die Schwimmflügel aufpusten. Coole Jungs, die auf dem Weg zum Drei-Meter- Brett den Bauch einziehen. Kichernde Mädchen, die sich von den Jungs ‚Döppen‘ lassen. Menschen mit Sonnenbrand. Andere Menschen mit hautenger Speedo-Badehose und Astralkörper.

Und man selbst ist Teil dieses Mikrokosmos. Es geht einzig und allein um Fragen wie: In welches Becken gehen wir? Jetzt ein Eis oder später? Bist du eingecremt? Pommes mit der klotzigen Mayo oder dem heißen Ketchup? Sonne oder Schatten? Alles andere ist egal, und ein Handy braucht man im Freibad sowieso nicht. Also konzentriert man sich auf das Hier und Jetzt. Und mit zehn Euro in der Tasche kann man sich hier schon einen netten Nachmittag machen. Als wir mit nackten Füßen über die heißen Steinplatten laufen, um uns an der Rutsche anzustellen (das macht dem Papa im Übrigen genauso viel Spaß wie den Kindern), sehe ich den Bademeister am Beckenrand sitzen. Mit blauer Shorts, weißem, engen Polohemd und grauem Haar. Ich muss schmunzeln, denn genau dieser Bademeister saß hier schon vor 25 Jahren in vermutlich exakt diesem weißen Plastiksessel. „Nicht vom Beckenrand springen“, „mit dem Eis weg vom Rand“ – auch die Ansagen sind dieselben wie damals. Früher hat er mich genervt mit seinem Gemeckere. Heute, mit den Kindern an der Hand, sehe ich die Sache ein wenig anders. Ich weiß: Er ist der wichtigste Mann hier. Auch, weil wir gleich einen wichtigen Termin bei ihm haben: Sohnemann will das Seepferdchen machen. Es ist der erste Schritt zur Selbstständigkeit. Noch ein paar Jahre, dann will er alleine mit seinen Kumpels hier her. Die Zeit rast. Nur hier im Freibad nicht. Da ist alles wie früher. Und das ist wunderbar.

Sven Platen