‚Dinner for One‘ als Zeitmaschine in die eigene Kindheit: Ein Rückblick ins Silvester der 80er-Jahre
Der 90. Geburtstag feiert in diesem Jahr 60. Geburtstag: Erstmals wurde an Silvester 1963 ‚Dinner for One‘ ausgestrahlt. Jener kultisch verehrte Fernseh-Sketch, bei dem Miss Sophie ihren Geburtstag mit allerlei eingebildeten Gästen und natürlich dem nicht mehr ganz nüchternen Butler James feiert. Kaum vorstellbar, dass einer dieses Schwarz-Weiß-Stück noch nicht gesehen hat – schließlich kommt es mittlerweile am Silvestertag gefühlt ein Dutzend Mal auf unterschiedlichen Kanälen. Die einen können auch beim x-ten Mal noch drüber lachen, die anderen nicht. Wo aber Einigkeit besteht: Es ist eine wunderbare Zeitmaschine. Gar nicht mal unbedingt zurück und die Zeit von Miss Sophie und Butler James, sondern vielmehr in die eigene Kindheit. Damals, als dieser Sketch wirklich noch neu für einen war und man wirklich nicht wusste, wann der Butler das nächste Mal stolpern wird.
Ach, Silvester! Jener Tag, bei dem für uns Kinder zu Hause irgendwie alle Regeln außer Kraft gesetzt waren. Wann wir ins Bett gehen, wie lange wir fernsehen und wie viele Süßigkeiten gegessen werden – da hat am letzten Tag des Jahres keiner so richtig drauf geachtet. Silvester, das war für mich als Kind der Achtziger ein echter Traum und eine wilde Mischung aus Fernsehen, Fondue und Feuerwerk.
Ein Abend, der tatsächlich meist mit ‚Dinner for One‘ eingeläutet wurde. Mama hat derweil den Tisch gedeckt, der sich mit dem großen Fondue-Topf, diversen Saucen, Brot und Mixed Pickles nur so gebogen hat. Danach auf dem mit Luftschlangen und Luftballons geschmückten Röhrenfernseher ein Misch aus Didi-Hallervorden- und Diether-Krebs-Sketchen, aus Hitparaden-Auftritten und Best-of der Versteckten Kamera. Und natürlich dem grandiosen ‚Silvesterpunsch‘ mit Ekel Alfred. Mehr oder weniger als Hintergrundrauschen. Denn Papa hat unsere volle Aufmerksamkeit, weil er mit Tischfeuerwerken, Knallbonbons und Wunderkerzen bei uns mächtig Eindruck schindet.
Gleichzeitig stehen Chips, Schokolade, Erdnüsse und auch Mon Chéri auf dem Tisch, von denen wir Kinder möglicherweise ‚versehentlich‘ genascht haben. ‚Silvesterbauch‘ könnte der Fachbegriff sein, wenn zu viel Süßes und Ungesundes unkoordiniert in einem Kindermagen landen. Mama und Papa haben vom Sekttrinken schon rote Wangen, wir sind aufgedreht von zu viel Fanta. Der Countdown läuft. Bis 0 Uhr wachbleiben? Gar kein Problem, so aufgeregt, wie wir sind. Irgendjemand böllert draußen zu früh, weil er entweder die Uhr nicht lesen oder es einfach nicht abwarten kann.
Wir machen alberne Fotos, Mama fallen gegen elf Uhr das erste Mal die Augen zu. Papa stellt draußen fürs Feuerwerk schon mal ein paar leere Flaschen auf. Im Fernsehen wird der Countdown eingeblendet, gleich ist es wirklich Mitternacht. Das alte Jahr ist vorbei, nach den Weihnachtsferien werden wir in unsere Schulhefte 1987 schreiben und nicht mehr 1986. Jahr für Jahr etwas ganz Besonderes. Was wird das neue Jahr bringen? Was war im alten Jahr gut oder schlecht? Das sind Dinge, die uns nicht interessieren.
Mama muss geweckt werden. Frohes neues Jahr! Wir stoßen an; die Eltern mit Sekt, wir mit Orangensaft. Und nun raus auf die Straße. Papa drückt uns Knallteufel in die Hand, wir haben dann doch reichlich Respekt vor dem Krach, dem Rauch und den bunten Lichtern durch die vielen Böller. Der Nachbar hat noch etwas Bowle übrig, meine Eltern winken ab – mittlerweile sind nicht nur die Wangen rot, es glühen die kompletten Köpfe. Das geplante Bleigießen fällt aus, alle sind müde. Wir brauchen noch etwas, um die Eindrücke zu verarbeiten und einschlafen zu können. Auf dem Rücken natürlich. Nicht auf dem Silvesterbauch.
Sven Platen