Seeluft und unendliche Ruhe. Die ganze Weite der Nordsee im Panoramablick vor Augen – und wenn’s gut geht, scheint die Sommersonne dazu. Das ist Halligen-Urlaub. Dieses Erlebnis gibt es so nur in Deutschland und Dänemark. Erst Ende März nahmen die Hallig-Bewohner Abschied von der Wintersaison, jetzt im Frühjahr kommen die Fähren und Ausflugsboote wieder regelmäßig. Und mit ihnen auch die Reisenden, die auf der Suche nach ganz besonderen Erlebnissen sind.
 

 
Denn Hallig-Urlaub bedeutet nichts anderes, als nahezu eins zu werden mit der unverwechselbaren Natur. Fernab des hektischen Großstadttrubels oder der täglichen Aufgaben des modernen Alltags taucht man hier tief ein in das Spiel der Gezeiten. Man urlaubt nicht einfach nur, sondern begibt sich auf eine (ent-)spannende Reise zurück zur Ursprünglichkeit, die völlig neue Blicke auf unberührte Natur sowie beeindruckende Lichtspiele – und vielleicht auch auf sich selbst – eröffnet. Nicht ohne Grund betitelte Theodor Storm diese Fleckchen Erde als ’schwimmende Träume‘.
Die zehn noch vorhandenen Marschland-Erhebungen in Deutschland, die man Halligen nennt, liegen allesamt im nordfriesischen Wattenmeer. Sie messen insgesamt 956 Hektar und sind so flach, dass sie zuweilen von der Flut überspült werden. Nur die Warften in der Mitte, künstlich aufgeschüttete und leicht gesicherte Hügel, trotzen den Gezeiten. Auf ihnen stehen einige Wohngebäude, sogar Kirchen und ebenfalls Deutschlands kleinste Schulen.
 
Langeneß mit Oland, Hooge und Gröde
Bewirtschaftet sind heute lediglich Nordstrandischmoor, Gröde, Oland, Langeneß und Hooge. Insgesamt leben dort 230 Menschen, die ihre Brötchen hauptsächlich mit dem Tourismus verdienen. Dabei überwiegt der Tagestourismus. Die Gäste kommen von Niebüll oder von Schlüttsiel aus mit Fähren oder Ausflugsschiffen. Auf den drei größeren Halligen Langeneß mit Oland, Hooge und Gröde werden Gästezimmer oder Ferienwohnungen angeboten. Immerhin: Auf der ‚Mayenswarf‘ von Langeneß – hier heißen die Warften immer schon Warf, ohne t – wartet sogar ein Vier-Sterne-Hotel auf Besucher mit Komfortansprüchen. Es ist das ‚Anker’s Hörn‘ von Malte Karau, der zugleich das Hotelrestaurant ‚Hilligenley‘ betreibt. Ebenso gibt es auf Langeneß Pensions-
zimmer oder Ferienwohnungen.
 

 
Aber wie, um Himmels Willen, kommt ein Urlauber auf solch einer Hallig zurecht? Erstaunlich gut, wenn man Ruhe und Ursprünglichkeit schätzt. Die 106 Einwohner von Langeneß lernt man mühelos in der ersten Ferienwoche kennen. Wem das zu anstrengend ist – Gröde hat nur 18 Einwohner. Die trifft man zum Klönschnack am Kiosk, täglich. Gasthaus und Kaufmann sucht man vergebens. Feriengäste werden gebeten, vor der Anreise bei ihrem Vermieter ihre Einkaufswünsche abzugeben. Dann folgt die entsprechende Lieferung vom Kaufmann auf dem Festland, sobald das Postschiff vorbeikommt. Die Einkaufsbestellung ist auf beinahe allen Halligen Pflicht, nur teilweise (auf Langeneß und Oland) kommt der Verkaufswagen vom Supermarkt aus Niebüll vorbei – zweimal in der Woche. Planung ist also alles, aber auch eine neue Erfahrung.
Und die ‚Sehenswürdigkeiten‘? Auf Gröde ist das die kleine Halligkirche. Und es sind im Frühjahr die brütenden Vögel, im Sommer der violett blühende Halligflieder, der auf den Salzwiesen gedeiht. Hooge bietet den Gästen mehr: Hier gibt es Inselrundfahrten mit Planwagen- und Kutschfahrten, und auch per Rad lässt sich die Hallig erkunden. Richtig urig wird es, wenn Sie den ‚Königspesel‘ unter Reet besuchen. Der Pesel liegt im historischen Kapitänshaus von Hans Bandiks auf der ‚Hanswarft‘. Hier übernachtete Dänemarks König Frederik VI im Jahr 1825, als ihn auf der Hallig ein Sturm überraschend an der Weiterreise hinderte. Immerhin neun Gaststätten und mehrere Cafés gehören zusätzlich zur Ausstattung von Hooge – und die Gäste wissen das zu schätzen. Ebenso aber auch am nächsten Morgen den Blick auf die fast schon unfassbare Weite rundum. Oder auf die Kühe, die eigentlich vom Festland stammen, über den Sommer aber von den Inselbewohnern als vierbeinige Gäste gehütet werden. Oder auf die Möwen und die Austernfischer, die hier ungestört ihre Vogel-Existenz ausleben können. Hallig-Urlaub ist und bleibt also etwas Besonderes.
 
Peter Lamprecht