Morgens früh am Rhein entlang – warum wir hin und wieder dem Fahrradhelm gegenüber der Mütze voll Schlaf den Vortritt lassen sollten

Das Gras in den Böschungen zwischen Radweg und Straße ist noch feucht, als mein Kumpel und ich unsere Fahrräder vom Gepäckträger heben und die letzten Vorbereitungen treffen. Die Vögel zwitschern um die Wette, und die Sonne geht allmählich auf. Eine halbe Stunde sind wir mit dem Auto von unserem Zuhause weggefahren, die Räder hinten drauf. Das machen wir mittlerweile häufiger so, nachdem wir im vergangenen Jahr bereits alle Fahrrad- und Feldwege in unserer Heimat abgegrast haben. 30 Minuten raus – und die Welt sieht nicht wirklich viel anders aus, es warten aber immerhin ein paar Überraschungen auf einen, und man kann nicht jede Kreuzung und jede Parkbank vorhersagen.

Heute also versuchen sich Simon und ich mal mit einer Runde am Rhein entlang – die Niers kennen wir auswendig … Mittels der Streckenplanungs-App ‚Komoot‘ haben wir uns einen Rundkurs ausgesucht, der ‚Lohauser Deich‘ heißt und den irgendein User mal erstellt hat.

Ein Parkplatz ist schnell im Örtchen Langst-Kierst gefunden, an der linken Rheinseite bei Lank-Latum. In den Süden runter bis Düsseldorf, dann auf die rechte Rheinseite, hoch nach Uerdingen, wieder über den Rhein und schließlich zurück. Ein ziemlich beliebter und touristischer Abschnitt des Rheins ist das. Und da wir uns den rund 45 Kilometer langen Kurs mit möglichst wenig anderen teilen möchten, ist es gut, dass der Tag noch so jung ist. Jetzt könnte man sagen: Wieso tun die sich das am Wochenende an? Dann, wenn man sich statt des Fahrradhelms lieber noch mal eine Mütze voll Schlaf aufsetzen könnte?

Nun, ich will ehrlich sein: Zu unserer ersten gemeinsamen Early-Bird-Runde musste Simon mich lange überreden. Warum in Funktionsjacke radeln, wenn es ein paar Stunden später im Kurzarmtrikot geht? Dafür gibt es viele Gründe, die ich bei meiner ersten Tour zu schätzen lernen sollte.

Erster Grund

Die Wege sind frei. Und ich meine: wirklich frei. Natürlich gibt es hier und da Frauchen und Herrchen, die mit ihren Hunden Gassi gehen. Aber das ist kein Vergleich zur sonstigen ‘Konkurrenz‘ auf den Radwegen. Denn die E-Bike-Fraktion liegt dann noch im Bett, und die Familien sind mit Sicherheit noch beim Frühstück. Um diese Zeit, das reden wir uns jedenfalls ein, sind nur die ganz Harten unterwegs. Für uns heißt es also: Satteltasche befestigt, Helm aufgesetzt – und rein in die Klick-Pedalen. Wir fahren gen Süden, in Richtung Meerbusch und Büderich, und schon nach wenigen Kilometern sind wir ziemlich baff ob der Schönheit, die sich da im Morgennebel vor uns auftut: Die Ilvericher Altrheinschlinge ist ein total abwechslungsreiches, herrliches Landschaftsschutzgebiet, das wir leider viel zu schnell und lieblos neben und hinter uns lassen. Wir radeln auf die Flughafenbrücke zu, die die Menschen über die A44 nach Düsseldorf bringt. Wir strampeln die sehr fahrradfreundliche Auffahrt hoch und wechseln so die Rheinseite. Eigentlich müssten wir nun gen Norden fahren, doch die Peripherie der Landeshauptstadt zieht uns irgendwie an. Bis in den Rheinpark, kurz vor den Rheinterrassen zieht es uns. Und bevor wir umkehren, um also unsere eigentliche Tour fortzusetzen, kommt das nächste Argument für eine solch frühe Fahrradtour voll zur Geltung.

Zweiter Grund

das Frühstück. Im Rheinpark ist um diese Uhrzeit eine schöne Parkbank mit direktem Blick auf den Rhein und die Schiffe schnell gefunden. Ich ziehe zwei Thermoskannen voll Kaffee aus der Satteltasche, dazu zwei frische Brötchen und zwei Bananen. Wir fühlen uns, als wären wir schon im Ziel, aber unsere Tour hat noch nicht mal richtig angefangen. Wäre es nicht so frisch, wir wären wohl gern noch ein Stündchen dort sitzen geblieben. Aber nach der ersten Mahlzeit des Tages, eingenommen in exklusivster Lage, geht es in den Sattel und raus aus Düsseldorf. Links von uns der Rhein, rechts von uns der Japanische Garten, die Messe, das Stadion. Ziemlich ländlich ist es hier, vor den Toren unserer Landeshauptstadt, auf dem Lohauser Deich. Das schöne Städtchen Kaiserswerth ist heute nur ein Durchfahrtsort – schade, auch hier hätte man eine Pause einlegen können. Dafür folgt aber ein bestimmt zehn Kilometer langes Stück parallel zum Rhein auf bestem Asphalt, vorbei an den Örtchen Wittlaer und Serm. Dass die Außengastronomie zum Zeitpunkt unserer kleinen Tour noch geschlossen hat, schmerzt am meisten, als wir an einem Biergarten namens ‚Aschlöksken‘ vorbeikommen. Simon war schon einmal in dieser Gartenwirtschaft und erzählt von dem dortigen, außergewöhnlichen Gastronomiekonzept: Neben dem Bier muss man sich auch seinen Stuhl selbst aus dem Garten holen. Und dann sitzt man dort, mit Rheinblick direkt am Radweg und bestaunt Fluss und fließenden Radverkehr gleichermaßen. Allein, um das einmal zu sehen, lohnt ein Wiederkommen. Leider müssen wir die Romantik kurz hinter uns lassen, um erneut den Rhein zu queren: Vorbei an Mündelheim fahren wir über die Uerdinger Rheinbrücke. Zehntausende Autos und LKW fahren hier täglich, und auch an diesem Vormittag ist hier schon mächtig was los. Immerhin ist dieses imposante Bauwerk ein paar schöne Erinnerungsfotos wert. Denn unsere kleine, morgendliche Tour, sie befindet sich schon auf der Zielgeraden. Zeit, um sich über den dritten Vorteil unserer kleinen, aber feinen morgendlichen Runde zu freuen.

Dritter Grund

Wir sind die moralischen Sieger. Es ist immer noch früh am Morgen, und ich habe schon so viel gemacht: gefrühstückt, Sport getrieben, Zeit mit meinem Kumpel verbracht und einfach was erlebt. Andere liegen vielleicht noch immer im Bett. Was so eine kleine Schweinehund-Überwindung so alles ausmachen kann… Jedenfalls fahren wir über die historische Linner Drehbrücke, um das letzte Stück unserer Tour direkt am Rhein absolvieren zu können. Zunächst durch den Linner Hafen und schließlich vorbei an Spey und dem Nierster Rheinufer bis zurück zu unserem Startpunkt in Langst-Kierst. Die Räder werden hinten auf dem Auto befestigt und schon mal Pläne für die kommende Tour besprochen: Das nächste Mal wieder eine etwas weitere Tour? Oder war das okay so? Schauen wir mal.

mle