Oktoberfest wird längst nicht nur in Bayern gefeiert, sondern in ganz Deutschland und damit auch im Urbano-Sektor. Warum eigentlich?

Ich habe Fragen. Wenn wir doch alle den Sommer lieben, lange Tage, schönes Wetter und lange Ferien – warum sollten wir ausgerechnet den Monat feiern, in dem all das endgültig vorbei ist? Wenn es allmählich nass wird und kalt und die Bäume ihre Blätter verlieren? Warum also gibt es ausgerechnet ein Fest, das den Monat Oktober feiert? Die unendlichen Weiten des Internets klären auf: „Ursprung des Oktoberfests ist ein Pferderennen, das die Münchner Bürgerwehr am 17.10.1810 zu Ehren der Hochzeit des bayerischen Kronprinzen Ludwig von Bayern (1786–1868, König 1825–1848) mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792–1854) veranstaltete.“

Okay. So weit, so gut. Ganz klar ein Fest der Münchner also. Wieso aber gibt es mittlerweile in jeder Kleinstadt in ganz Deutschland ein Oktoberfest, obwohl es sich ganz offensichtlich um ein regionales Fest handelt? Gerade am Niederrhein, wo es mit Karneval oder Schützenfest ohnehin schon reichlich eigene Tradition und Feierlichkeiten gibt? Wo man mit den zwar gastlichen, aber oftmals ein wenig verschrobenen Bayern fremdelt und sich soziokulturell eher den Menschen zum Beispiel aus den Niederlanden verbunden fühlt? Wo man sein Bier traditionell eher aus kleineren Gläsern trinkt und auch nicht darauf warten mag, dass der Oberbürgermeister das Fass angeschlagen hat und „O’zapft is“ in die Menge gerufen hat? Wo man beim Trinken zwar das Maß halten kann, aber nicht unbedingt die Maß halten will – sondern lieber ein 0,3er-Glas?

Nein, es muss etwas anderes sein, wieso all die Menschen an den Oktober-Wochenenden in diese großen Zelte nach Xanten, Neuss oder Straelen pilgern – oder einfach auf den Marktplatz in der Heimatgemeinde. Wieso sich Männer in eine Lederhose zwängen und in ein aufwendig besticktes Hemd. Wieso Frauen stundenlang ihr extra für diesen Abend gekauftes Dirndl zurechtzupfen – und wieso sich alle auf ein fettiges Brathähnchen freuen, serviert in einem stickigen Festzelt an einer engen Bierbank.

Vielleicht ist es nur das, dass der Niederrheiner einfach gerne feiert und jede Chance dazu dankend annimmt. Ganz sicher ist es aber die Sache mit dem Verkleiden. Bis Karneval ist es vom Oktober aus gesehen noch eine Ewigkeit, und selbst bis zum närrischen Auftakt am 11.11. mag nicht jeder warten. Also macht man das, was man hier immer gerne macht – mit Haut und Haaren und aufwendigem Kostüm in die Rolle eines anderen schlüpfen. In dem Fall eigentlich nur in die Rolle eines Menschen aus Bayern, der gern feiert – oder wie man im Süden sagt, „Gaudi macht“. Vielleicht darf man das alles nicht so kritisch sehen und sollte sich kopfüber ins Getümmel stürzen. Ein Prosit der Gemütlichkeit!

Sven Platen