Eine Liebeserklärung an einen VW Jetta, Baujahr 1979

Das Geschenk habe ich schon aus ungefähr 500 Metern Entfernung gesehen. Kein Wunder, schließlich war eine riesige rote Schleife drum herumgebunden, und es stand in der Hauseinfahrt meiner Eltern. Es war weiß, es war ein wenig klobig – und es war tatsächlich mein erstes Auto! Niemals werde ich diese Situation vergessen, als ich zwei Tage nach meinem 18. Geburtstag auf mein Elternhaus zugefahren bin, auf dem Beifahrersitz im Auto meines Vaters, auf dem Rückweg von der bestandenen Fahrprüfung.

27 Jahre ist das her, als meiner Patentante und meinem Onkel diese riesengroße Überraschung geglückt ist. Den Führerschein hatten meine Eltern bezahlt, dementsprechend hatte ich nie im Leben damit gerechnet, auch noch ein Auto geschenkt zu bekommen. Die erste Probefahrt auf einem Feldweg verlief im wahrsten Sinne des Wortes ruckelig – so einen Choke, der damals noch in älteren Autos zur Starthilfe eingebaut war, hatte mein flammneuer Fahrschul-Golf nicht.

Ich besaß keinen coolen Dreier-Golf, sondern einen 17 Jahre alten VW Jetta, der hier und da eher den Ruf hatte, ein ‚Oma-Auto‘ zu sein. Aber das war mir doch egal! Meine Tante hatte ihn wohl meiner nicht mehr fahrtüchtigen Großtante abgeschwatzt, und ich war sofort schwer verliebt. Die ersten Einkäufe: Ein Duftbaum für den Innenspiegel (Geruchstyp Fichtenwald, habe ich gefühlt immer noch in der Nase), ein Borussia-Mönchengladbach-Autoschal und – Achtung – ein neues Autoradio mit Sechser-CD-Wechsler. Also: Fahrerfenster runter (natürlich gekurbelt), die Best of Wolfgang-Petry-CD eingelegt (hat man damals gehört) und im vierten Gang über die Landstraße – einen fünften Gang gab es nicht.

Als Kind vom Lande weiß man so ein Auto vielleicht noch ein bisschen mehr zu schätzen. Der Besuch des Kinos, des Bowling-Centers oder der Disco war auf einen Schlag zum Greifen nah und viel weniger kompliziert. Für fünf Mark Spritgeld pro Person ging es auch mal im vollbesetzten Auto nach Köln. Himmel, was für Erfahrungen! Mensch, was für Erinnerungen! Das erste Mal Autokino, der erste kleine Verkehrsunfall, das erste Mal knutschen im Auto, das erste Mal rückwärts einparken in der Großstadt, das erste Mal im Auto schlafen, weil alle was trinken wollten und keiner mehr fahren durfte. Und vor allem: Das erste Mal mit dem Auto auf den Parkplatz des Gymnasiums einbiegen und eine Parklücke suchen, irgendwo zwischen den Lehrern oder den coolen Abiturienten.

Längst nicht jeder aus meiner Stufe hatte ein eigenes Auto, und jedes hatte seine Besonderheit. Die eine fuhr einen Twingo, der andere einen Polo. Und jedes Auto hatte eine Besonderheit. Bei mir war es sicher der große Kofferraum. Zwölf Kisten Bier (das haben wir tatsächlich ausprobiert) passten rein, was dieses Gefährt zur Vorbereitung auf größere Partys sehr gefragt machte.

Redet man über Meilensteine hin zum Erwachsenwerden, dann ist das Privileg, Autofahren zu dürfen, sicherlich besonders markant. Man braucht die eigenen Eltern nun noch ein bisschen weniger (außer natürlich zum Reifen wechseln oder um die überteure Werkstatt-Rechnung zu bezahlen), und man wechselt die Perspektive vom Fahrradweg hinüber auf die Straße.

Es ist wirklich so: Ab und an träume ich von diesem VW Jetta. Ein bisschen mag das am Fahrzeug an sich liegen. Aber wahrscheinlich zu großen Teilen an dieser verrückten Zeit, als man 18 war, plötzlich selbst entscheiden konnte, einfach losfuhr und in zweieinhalb Stunden am Meer war.

Sven Platen