Kletterhalle, Hotel und Restaurant – immer mehr Kirchen werden nicht mehr gebraucht und locken nach ihrer Umnutzung wieder Menschen in die ehemals heiligen Hallen
Es ist nun einmal so: Der wöchentliche Kirchgang ist für immer weniger Menschen ein sonntägliches Ritual. Immer mehr Kirchen wurden also in den zurückliegenden Jahrzehnten geschlossen und entweiht. ‚Profanieren‘ heißt dieser Vorgang, der das Gegenteil einer Kirchweihe ist. Danach stellt sich die Frage: Abriss oder Umnutzung? Während das Ausland schon längere Zeit sehr locker mit der Zweckentfremdung umgeht und dort beispielsweise Fitnessstudios, Diskotheken, Hotels oder Kaufhäuser eingezogen sind, tastet man sich hierzulande noch an das Thema heran. Papst Franziskus hat bei einem Kongress würdige Lösungen bei der Umwidmung von Kirchen gefordert, ein Kriterienkatalog legt fest, welche Arten der Folgenutzung möglich sind. Es gibt einige schöne Beispiele dafür, wie eine Kirche zwar keine Kirche mehr ist, aber immer noch ein Ort menschlicher Begegnung.
Mönchengladbach:
Einst St. Peter, heute eine Kletterhalle
Mein Gott, ist das hoch! 13 Meter geht die steilste Wand in Deutschlands erster Kletterkirche hoch. Von außen sieht die Kirche St. Peter im Mönchengladbacher Stadtteil Waldhausen noch aus wie früher. Und von innen? Gab es früher für denjenigen, der über die Kirchenbänke klettert, einen bösen Blick vom Pastor, so ist Kraxelei heutzutage ausdrücklich erwünscht. Da, wo früher der Altarraum war, sind heute Kletterwände mit bunten Griffen. Im Bereich der Kirchenbänke ist ein kleines Café, in der Sakristei die Umkleide und da, wo früher der Organist gespielt hat, kann im Boulder-Bereich ohne Seil geklettert werden. Die Halle ist eine echte Attraktion in der Stadt – wo sonst klettert man mit Blick auf bunte Kirchenfenster und zwischen dem noch erhaltenen Weihwasserbecken und Kirchenbänken? Hier kommen Anfänger genauso auf ihre Kosten wie Extremsportler – und sie alle genießen einen großen Vorteil einer Kirche: Es ist immer angenehm kühl.
Mönchengladbach-Pesch:
Wohnungen mit sakralem Flair
Als 2007 zwei Kirchengemeinden zusammengelegt wurden, war in der Pfarrkirche Herz Jesu in Mönchengladbach-Pesch die Messe buchstäblich gelesen: Die 1903 geweihte Kirche wurde nun nicht mehr gebraucht. Schaut man sich heute, rund 13 Jahre später, hier um, muss man sagen: Das Gotteshaus von einst hat eine sinnvolle neue Bestimmung gefunden. Denn auf einer Gesamtfläche von gut 1.500 Quadratmetern sind nun 23 moderne, gut ausgestattete Wohnungen zu finden, die sich im ehemaligen Chorraum und im Querhaus des Kirchenbaus verteilen. Die historischen Gemäuer werden nun durch bunte Farben ergänzt, ein gläserner Fahrstuhl bringt die Bewohner auf die richtige der insgesamt vier Etagen. In den offenen Galerien, die zu den Wohnungen führen, treffen sich Menschen aller Generationen. Das sakrale Flair ist hier überall noch zu spüren. Und wer weiß, vielleicht wohnt ja mittlerweile jemand in diesem besonderen Gebäude, der hier getauft wurde oder geheiratet hat.
Bielefeld: Glück und Seligkeit im Restaurant
Wie oft hier wohl schon ein gesegneter Appetit gewünscht wurde? Das ‚Glück und Seligkeit‘ in Bielefeld ist jedenfalls ein atemberaubendes Restaurant, untergebracht in der ehemaligen Martinikirche. Optisch so schön, dass man es kaum fassen kann, zählt das 2005 sanierte ehemalige Gotteshaus längst zu den kulinarischen Top-Adressen der Stadt. Obwohl modern eingerichtet und aufregend illuminiert, hat sich das ‚Glück und Seligkeit‘ ein bisschen von seinem alten Geheimnis bewahrt – denn abgesehen von der großen Theke im Zentrum des Lokals erinnert noch vieles an die Martinikirche, unter anderem die hohen Wände und wunderschönen Fenster.
Eindhoven:
Einen sensationellen Stilmix aus jahrhundertealten Gemäuern und top-modern eingerichteten Zimmern bietet das erst vor drei Monaten eröffnete Hotel Marienhage in Eindhoven. Hier läuft man durch hohe, kühle Flure, vorbei an der riesigen Kirchenorgel, Heiligenfiguren und Kirchenbänken hin zu den großen, schweren Zimmertüren. Und wer sich abends in der Eindhovener Altstadt verirrt, wird es garantiert zum Hotel zurückfinden: Der riesige Kirchturm mit der angeleuchteten Statue an der Spitze weist den richtigen Weg.
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UND SONST?
Archiv in Moers-Meerbeck:
Das Hauptarchiv der Evangelischen Kirche im Rheinland ist in die Johanneskirche eingezogen: Acht Regal-Kilometer voll mit Chor-unterlagen, Nachlässen, Verwaltungsakten und Erinnerungen an Kirchen-Persönlichkeiten.
Konzerte in Bochum und Köln:
Das 2016 eröffnete ‚Anneliese Brost Musikforum Ruhr‘ in der ehemaligen St. Marien-Kirche ist nicht nur Heimatspielstätte für die Bochumer Symphoniker, sondern auch eine wundervolle Konzertlocation mit überragender Akustik. Und in der Kölner Lutherkirche finden nicht nur Lesungen und Kabarett statt, sondern hier war sogar schon der Rockpalast zu Gast.
Friseursalon in Waldfischbach:
Die ehemalige katholische Pfarrkirche St. Joseph in Waldfischbach bei Speyer ist schon seit Jahrzehnten entweiht, hier waren unter anderem schon ein Polstermöbellager und die Stadtsparkasse untergebracht. Seit 15 Jahren ist hier der ‚Hairdom‘ – hier fungieren frühere Kirchenfenster als Spiegel, sitzen kann man auf Beichtstühlen.
Turnhalle in Trier:
‚Turnen über den Altären‘ – als die Abteikirche St. Maximin zu einer Turnhalle umgebaut wurde, ging ein Aufschrei durch die Republik. Das aber ist knapp 20 Jahre her, heute ist es normal, dass auf dem ehemaligen Kirchenboden Linien von Handballfeldern zu finden sind und an den Wänden Basketballkörbe hängen.