Im April dreht sich in Mönchengladbach wieder alles um die Textilwirtschaft. Mit der Recruiting-Messe ‚MG zieht an – Go textile!‘ und dem ersten Mönchengladbacher Fashion Day entlang der Hindenburgstraße werden zahlreiche Facetten der Textilindustrie gezeigt. Das ist der vorläufige Höhepunkt einer Geschichte, die bis in das 14. Jahrhundert dokumentiert ist.

Das Gebäude G der Hochschule Niederrhein an der Webschulstraße hebt sich von den anderen Campus-Gebäuden deutlich ab. Die Architektur mit den spitzen Giebeln, den hohen, abgerundeten Fenstern, dem Türmchen über dem Erker und die Ziegelsteinfassade berichten von einer anderen Zeit. 1901 wurde hier die Preußische höhere Fachschule für die Textilindustrie in München-Gladbach gegründet, in der Führungskräfte ausgebildet wurden. Im Laufe des Jahrhunderts entwickelte sich daraus die Hochschule Niederrhein. Die Textilwirtschaft ist immer noch ein Schwerpunkt: In dem historischen Gebäude lernen die Studierenden des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik, wie man Textilien mit Zusatznutzen entwickelt und herstellt.

Im Prinzip ist das Campus-Gebäude ein Sinnbild für die Historie der Textilstadt Mönchengladbach. Die reicht bis in das Spätmittelalter zurück. Der Flachsanbau ist erstmals Ende des 14. Jahrhunderts dokumentiert. Bis in die Zeit der französischen Besatzung Ende des 18. Jahrhunderts war die Textilwirtschaft so weit gediehen, dass die Zunft der Weber, Tuchscherer und Gewandschneider eine von vier Handwerker-Zünften in der Stadt war.

Händler sorgten schon damals dafür, dass sich die Qualität des Tuches aus Gladbach in Europa herumsprach. Vor allem das ‚holländische Tuch‘, das zwar in der Stadt gewebt wurde, aber in Holland gebleicht, wurde in ganz Europa von Menschen mit modischem Feinsinn geschätzt.

Die Garnherstellung und das Weben wurden in Heimarbeit erledigt. Der Raum mit dem Webstuhl war der größte im Haus der Weber. Dort saß die ganze Familie und arbeitete. Die Frauen saßen am Spinnrad, die Männer am Webstuhl. Die alten Männer, die zu schwach für die Bedienung des Webstuhls wurden, übernahmen die Haspel. Mit dem Gerät konnten sie die Fäden aufwickeln und auf eine genormte Länge abmessen. Bezahlt wurden die Familien von den Händlern, für die sie exklusiv arbeiteten. Im Flachsmuseum Wegberg kann man noch heute in der Ausstellung sehen, wie so eine Stube aussah.

Übrigens stammen aus dieser Zeit auch einige Redewendungen, die heute noch gebräuchlich sind. Als ‚alter Knacker‘ wurden zum Beispiel die Männer an der Haspel bezeichnet. Denn die knackte immer leise, wenn die gewünschte Fadenlänge erreicht wurde. Auch die Fahrt ‚ins Blaue‘ und das Erleben eines ‚blauen Wunders‘ stammt aus dieser Zeit. Wer in der Blütezeit des Flachses einen Ausflug machte, sah über weite Flächen himmelblaue Blüten.

Mit der Industrialisierung begann eine neue Zeit. Die Produktion wurde effizienter, statt in Heimarbeit wurden die Stoffe nun in  den Fabriken hergestellt. Für Gladbach begann ein wirtschaftlicher Aufschwung. Es gab viele Betriebe, die Schornsteine und typischen Sheddächer der Fabrikhallen prägten das Stadtbild. Als ‚Rheinisches Manchester‘ machte die Textilindustrie die Stadt bekannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen auch die Textilunternehmen in Trümmern. 77 Prozent aller Betriebe waren von Kriegsschäden betroffen. 54 Prozent der Anlagen und Maschinen waren zerstört. Die Unternehmer und ihre Mitarbeiter bauten die Firmen wieder auf – auch in Gladbach fand das Wirtschaftswunder statt. Allerdings hielt der Aufschwung nur bis Anfang der 1960er Jahre, als die Strukturkrise der Textil- und Bekleidungsindustrie begann. 1963 stellte die erste Firma ihren Betrieb ein. Die Konkurrenz aus dem Ausland war billiger. 1967 gab die letzte Baumwollspinnerei in der Stadt auf. Bekleidungshersteller verlagerten ihre Produktion ins Ausland.

Und doch sind Traditionsunternehmen der Textilbranche auch heute noch in Gladbach zu finden. Sie haben den Strukturwandel geschafft – und sich den neuen Gegebenheiten angepasst. 1899 begann Achter & Ebels mit zwölf Webstühlen, schon 1920 begann es damit, Polsterstoffe für die Autoindustrie zu produzieren. Heute entwickelt das Unternehmen als ‚Aunde‘ technische Textilien für die Automobilindustrie. Auch der Textilmaschinenbauer Trützschler hat die Strukturkrise erfolgreich überstanden. Heute gehört er zu den Marktführern im Bereich der Textilmaschinen in der Faservorbereitung.

Technische Textilien machen einen Großteil der in Mönchengladbach entwickelten und zum Teil auch hergestellten Stoffe aus. Das geht von Textilien mit besonderen Eigenschaften wie Stretch oder Wärmeregulierung, die in der Mode verarbeitet werden, bis hin zu Textilien, die in der Industrie und im Alltag Anwendung finden: Campingzelte, Airbags in Autos, Schutzanzüge und Verbandsmaterial sind Beispiele dafür.

 

Garnet Manecke

 

Lesetipps

Mönchengladbach so wie es war

Christian Wolfsberger & Ilona Gerhards

Droste Verlag | 176 Seiten

 

Migration und Mönchengladbach

Karl Boland & Hans Schürings (Hg.)

Klartext-Verlag | 312 Seiten

 

Ein Haus mit vielen Türen

Familiensaga aus der Zeit der Leinenweberei, Band 1

Magdlen Gerhards

Burg Verlag | 428 Seiten