Titelblatt des Kladderadatsch 19. Januar 1919
© Grafschafter Museum, Moers

Neuland zu betreten ist immer eine aufregende Sache. Denn niemand weiß, wohin der Weg führt und was einen am Ziel erwartet. Allein eine vage Vorstellung treibt die Menschen an und wenn alles gut läuft, steht am
Ende der Fortschritt. Der kommt in ganz unterschiedlichen Formen daher: als gesellschaftlicher Umbruch, als Genussmittel oder als revolutionäre technologische Innovation. Mit dem Themenjahr ‚Neuland – Terra Incognita‘ widmen sich die deutschen und niederländischen Museen des Kulturgeschichtlichen Museumsnetzwerks Rhein-Maas verschiedenen Aspekten und laden dabei auch die Besucher ein, sich aktiv zu beteiligen.

Neuland entwickeln

Bis zum Blumensonntag am 8. September wird in Rheydt an einem Teppich aus Stoffresten gewebt und damit gleichzeitig die Hauptstraße zumindest zeitweise wieder belebt. Wer sich beteiligen will, kann eigene Stoffe und Materialien mitbringen und sie in den Teppich einweben. Abgelegte Kleidung, alte Tücher und Decken, Wäscheleinen und Plastiktüten, eben alles, was weich und zur Verarbeitung geeignet ist, könnten so ein Teil im Kunstprojekt der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft werden. Dafür ist ein leer stehendes Ladenlokal extra zu einem begehbaren Webstuhl umgebaut worden. Mittwochs bis samstags wird jeweils von 14 bis 18 Uhr mit der Unterstützung von Künstlern gewerkelt. Wer statt eines textilen Teppichs lieber einen aus Klang weben möchte, ist freitags von 14 bis 18 Uhr in den Geschäftsräumen Hauptstraße 18 richtig. Mit klingenden Gegenständen entsteht hier eine für alle bespielbare Klangskulptur. Jeder kann mitmachen und mit den Tönen experimentieren – allein und im Zusammenspiel mit anderen.

www.montag-stiftungen.de

Neuland erobern

100 Jahre ist es her, dass das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt wurde. Dafür haben Frauen verschiedener sozialer Schichten mit harten Bandagen kämpfen müssen – und sich vielen Vorurteilen der Gesellschaft entgegen gestemmt. Das Grafschafter Museum im Moerser Schloss zeigt die Entwicklung von den ersten Forderungen nach mehr Rechten für Frauen Ende des 18. Jahrhunderts bis hin zur Einführung des Wahlrechts in Deutschland 1918. Zu sehen sind Fotos und Dokumente, darunter auch das Titelbild der Zeitschrift Kladderadatsch, das die Neu-Wählerin als ahnungsloses, naives Weibchen mit heruntergerutschtem Dekolleté zeigt. Sie steht hilflos vor der Entscheidung, welche Partei der passende Tanzpartner für sie ist. In seiner Ausstellung Wählen und Wühlen konzentriert sich das Museum auf die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen durch das Frauenwahlrecht am Niederrhein.

bis 13. Oktober

www.grafschafter-museum.de

bis 11. August 2019 | www.tuppenhof.de

Dass Frauen in Europa heute die Freiheit haben, sich ihr Leben so einzurichten, wie sie das möchten, verdanken sie auch mutigen Pionierinnen, die sich über Konventionen hinweg setzten. Frauen wie Marie Juchacz, die 1919 als erste Frau vor einem demokratisch gewählten Parlament sprach. Frauen, die das Recht zum Studium für sich durchsetzten, im Sport Erfolge feierten, die in Laboren forschten oder in der Kunst Akzente setzten. Diesen starken Frauen ist die Ausstellung Pionierinnen im Museum Kulturbahnhof Korschenbroich gewidmet.

30. August – 15. Dezember 2019

www.heimatverein-korschenbroich.de 

Neuland bewahren

Eine der wichtigsten Traditionen am Niederrhein ist das
Sommerbrauchtum. Korschenbroich und Neuss sind mit den größten Schützenfesten im Rheinland die Hochburgen und so ist es nur konsequent, dass das Rheinische Schützenmuseum Neuss sich der Entwicklung der Schützenfeste in der Zeit zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunderzeit widmet. Mit
Petticoat und Holzgewehr ist die Schau betitelt, wobei die Holzgewehre in den Nachkriegsjahren von den Besatzern verboten wurden. Engländer und Amerikaner schauten kritisch auf das Treiben der Bruderschaften. Die Uniformen, die Umzüge und Paraden und nicht zuletzt das Schießen auf den Vogel erinnerten zu stark an das Militär. So durften anfangs keine Gewehre, auch nicht aus Holz, genutzt werden und der Vogel wurde mit Armbrüsten von der Stange geholt. Die Bruderschaften betonten ihre Nähe zur Kirche und ihr gesellschaftliches Engagement oder tarnten sich einfach als Kegelclub.

28. Juli 2019 – 8. März 2020

www.rheinisches-schuetzenmuseum.de

Neuland genießen

Königin Elizabeth I. putzte sich ihre Zähne mit Honig. Warum diese das nicht unbeschadet überstanden, ist heute jedem Grundschulkind klar. Zu ihrer Zeit aber waren schlechte Zähne auch Zeichen des Wohlstands, denn nur Reiche konnten sich Zucker und Süßigkeiten leisten. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit waren gesüßte Speisen sehr selten. Für die normale Bevölkerung beschränkten sie sich in der Regel auf frisches Obst. Mit dem Beginn der Industrialisierung und dem Anbau von Zuckerrüben änderten sich die Verhältnisse und Süsskram wurde für alle erschwinglich. Das Clemens Sels Museum in Neuss widmet sich dem Siegeszug der Naschereien von der Zeit der Römer bis in die Gegenwart. In Kaarst steht die Zuckerrübe im Mittelpunkt der Ausstellung Zucker_Rüben_Land im Museum Tuppenhof.

28. Juli bis 13. Oktober 2019 | www.clemens-sels-museum.de

bis 11. August 2019 | www.tuppenhof.de

Neuland erleben

Heute wird an fast jedem Arbeitsplatz, ob im Büro oder in einer Werkstatt, ein Computer genutzt. Das Prinzip, mit dem die Informationen auf Chipkarten gespeichert werden, basiert auf dem binären System aus Nullen und Einsen oder Impuls und Nicht-Impuls. Aber schon lange vor der Digitalisierung der Welt wurde dieses System für den automatischen Lauf von Maschinen genutzt. Anfang des 19. Jahrhunderts revolutionierte die Technik der Lochkarten die Seidenweberei, denn damit war es zum ersten Mal möglich, auf Webstühlen komplizierte und vielfarbige Muster herzustellen. Auch Musikinstrumente wie Klaviere oder Drehorgeln wurden mit Lochkarten zum Spielen gebracht. Den Weg der Technik Von der Lochkarte in die Cloud zeigt das Museum Burg Linn in Krefeld.

1. September 2019 bis 17. Mai 2020

www.museumburglinn.de

Neuland bei den Nachbarn

Mit 3-D-Druck lassen sich schon heute viele Gegenstände in kleinen Stückzahlen und relativ schnell produzieren. Modelle für die Architektur, Ersatzteile für die Reparatur und sogar am Druck von Organen wird schon geforscht. Aber auch im traditionellen Handwerk könnte der 3-D-Druck Neues bringen. Im Tegeler Museum Keramiekcentrum Tiendschuur, das keramische Kunstwerke zum Thema hat, stellt eine entscheidende Frage: Is de 3D Printer de nieuwe Pottenbakkersschijf? (Ist der 3-D-Drucker die neue Töpferscheibe?). An jedem ersten Mittwoch im Monat wird versucht, diese Frage zu beantworten, wenn ein 3-D-Drucker vor den Augen der Besucher
Keramiken herstellt.

bis 18. Dezember 2019

www.tiendschuur.net

Das Interesse an Insekten und ihrer Arten-Vielfalt ist mit ihrem zunehmenden Schwund deutlich gestiegen. Im Missionsmuseum Steyl aber haben sie, wie auch andere Tierarten, immer eine große Rolle gespielt. Denn die Missionare von Steyl brachten mehr als hundert Jahre immer wieder Tierpräparate und Insekten aus den unbekannten Gebieten, in denen sie tätig waren, mit. Käfer, Raupen, Schmetterlinge, Bienen, Wespen und andere Insekten sind hier im Insektenkabinett zu sehen. Die Ausstellung Zie ze vliegen! – Krijg de Kriebels! widmet sich dem Nährwert von Insekten, die man essen kann oder die etwas Essbares herstellen.

bis 27. Oktober 2019

www.missiemuseumsteyl.nl

Vieles ist heutzutage so selbstverständlich, dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es einmal anders war. Der Anbau von Pflanzen in Gewächshäusern gehört dazu. Jede Gärtnerei hat heute solche Häuser aus Glas oder Kunststoff. Die Historie des Unterglasgartenbaus nach 1945 erzählt die Ausstellung Van Weder-
opbouw naar High Tech
(Vom Wiederaufbau zum High Tech) im Freilichtmuseum Locht. Aber auch in der Dauerausstellung zum Anbau in Gewächshäusern bekommt man im Unterglasgewächshauspavillon einen Einblick in dessen Entwicklung der letzten 100 Jahre.

bis 31. Dezember 2019

www.delocht.nl

Im Museum de Kantfabriek im niederländischen Horst dreht sich normalerweise alles um die Historie der Herstellung edler Spitzen. In der ehemaligen Fabrik erleben die Besucher antike Maschinen, auf denen das zarte Gewebe hergestellt wurde. Ein Teil der Maschinen funktioniert noch und wird den Besuchern gerne in Aktion präsentiert. Neben den Produktionshallen zeigt eine Dokumentation den Ursprung und die Geschichte der Textilindustrie in Horst. Mit der Sonderausstellung Innovatieve Mode en slim Textiel (Innovative Mode und intelligente Textilien) wendet sich das Museum der Zukunft der Textilindustrie zu. Smarte Kleidung, ihre Verwendung und die besonderen Anforderungen an die Produktion sind Themen der Ausstellung, die von Marina Toeters, Dozentin der Technischen Universität Eindhoven, kuratiert wird.

19. Januar – 15. März 2020

www.museumdekantfabriek.nl

Pierre Cuypers war einer der führenden Architekten und Designer der Niederlande. Das Rijksmuseum und der Hauptbahnhof in Amsterdam oder das Kasteel de Haar in Haarzuilen sind seine bekanntesten Arbeiten. Was kaum einer weiß: Pierre Cuypers (1827-1921) stammt aus Roermond. Sein ehemaliges Wohnhaus und Atelier sind nun ein Museum, das sich ganz dem Werk und Leben des Architekten und Designers widmet. Hier sind die Pläne für den Rittersaal in Den Haag entstanden, hier hat Cuypers 1904 den Thron entworfen, auf dem der König alljährlich Platz nimmt, um zu den Niederländern zu sprechen. Auf den Spuren des Architekten erlebt man im Cuypershuis, wie er in seiner Arbeit immer wieder Neuland suchte und fand.

www.cuypershuisroermond.nl